Schicksal aus zweiter Hand
hätten sie auch im Tode noch ihren Schatz bewacht.
Sie erhielten ein besonderes Grab … Peter Borken und seine drei Söhne. Die Erde wurde über ihnen zugeschüttet und glattgewalzt. Keiner weiß, wo sie liegen. Vier von hunderttausend.
Der Schnee und die Kälte waren stärker als ihre heiße Milch …
Preußisch Stargard .
Die Bahnlinie war gesprengt. Durch die stillen, verlassenen Straßen wehte der Schnee. Vereinzelt lagen umgestürzte Wagen an der Seite … Trecker, Raupenschlepper, einige Panzer, die Rohre der Kanonen zerfetzt. Abrupte Stahlgebilde, die im Schnee zu weichen, herrlichen Plastiken wurden. Gesprengt, verlassen wegen Spritmangels. Umgestürzte Autos, bemalt mit bizarren Tarnfarben und Figuren. Einige Bauernwagen, beladen mit Hausrat. Auf dem Bahnhof standen die Züge, auch sie gesprengt, mit aufgerissenen Kesseln und zerfetzten Rädern.
Eine grausam gestorbene Landschaft. Eine verbrannte Erde.
Nördlich von Stargard, auf Danzig zu, fuhren die Panzerdivisionen der Sowjets dem Pommerschen Landrücken entgegen. Hinein nach Deutschland! Noch war Danzig in deutscher Hand, noch rannten die Russen gegen die Marienburg vor, in der wie im Mittelalter eine Handvoll Kadetten die Burg hielt und bis zur letzten Patrone verteidigte. Idealisten, die stumm starben für ein Nichts, das ihnen folgte.
Über den Reichsrundfunk schrien die Machthaber in Berlin von kommenden Wunderwaffen, von dem Endsieg, der kommen würde, von dem Glauben des Führers an die bedingungslose Einsatzbereitschaft der ganzen Nation.
Hitlerjugendregimenter wurden an die Grenzen und auf die Barrikaden geworfen; Kinder mit Panzerfäusten in den Händen verbluteten wimmernd und nach der Mutter schreiend in den schnell aufgeworfenen Auffanggräben, in denen sie gleich liegen blieben und zugeschüttet wurden. Massengräber, in denen die Hälfte der deutschen Jugend verschwand.
Aber Danzig war noch frei! Von Danzig fuhren täglich Schiffe, bis an den Rand mit Flüchtlingen beladen, über die Ostsee in die Freiheit. Dampfer, Fischlogger, Segler … alles, was schwimmen konnte, wurde beladen, gestürmt, hinaus aufs Meer geschoben.
Von der Weichsel kommend stießen zwei Divisionen der Sowjets hinauf nach Stargard. Eine andere Gruppe stieß von Bromberg aus nach Schneidemühl mit Ausläufern zur Küste nach Stolpmünde und Rügenwalde. Schnelle Verbände, leichte Panzer, begleitet von den Selbstfahrlafetten der Stalinorgeln, der grauenhaften Raketengeschosse, deren Heulen die letzten Nerven der deutschen Truppen zerriß.
Durch Preußisch Stargard trabte langsam ein einsames kleines Bauernwägelchen. Es durchfuhr die stillen Straßen, umging die gesprengten Panzer und Wagen, machte kurz halt vor dem Bahnhof.
Frank Gerholdt kletterte vom Bock und durchstreifte die verlassenen Zimmer des Bahnhofgebäudes. Er fand drei Büchsen mit Gulasch, einen Schatz, von dem sie eine Woche leben konnten. Nur leben, weiterleben … satt werden war ein Traum geworden. Die Trostlosigkeit des Bahnhofs war erdrückend.
Dann zogen sie weiter, aus der stillen, toten Stadt hinaus aufs weite Feld. Über Wege, die von Tausenden Fuhrwerken zerfahren waren, zerstampft, aufgerissen, grundlos. Über Dörfer, in deren leeren Häusern und verbrannten Vorräten das Grauen eines unwiderruflichen Unterganges lag.
Sie zogen weiter wie in den Wochen vorher … drei einsame Menschen, ein armes, knochiges, keuchendes Pferd, ein knarrender, schwankender Bauernwagen, allein in der weißen Unendlichkeit des Winters, der einzige Ton in der Stille … Wanderer durch einen unübersehbaren Friedhof.
Sie zogen mitten hinein in den Aufmarsch der sowjetischen Armee, die den Ring um Danzig schloß, das letzte Loch, durch das die kopflosen deutschen Truppen über die Ostsee ins Reich schlüpften.
Frank Gerholdt wußte es nicht. Und wenn er es gewußt hätte, es wäre ihm keine andere Wahl geblieben, als diesen Weg einzuschlagen. Im Westen stieß der Russe schnell vor, im Osten war alles überflutet von der Roten Armee, im Süden erschoß der Pole alles, was er auf den Straßen an Deutschen antraf … nur der Weg nach Norden war frei, der Weg ans Meer …
Gerholdt verschwieg es. Nur Frau v. Knörringen ahnte, was ihnen an Leid und Gefahren noch bevorstand. Sie sagte ihr Wissen nicht laut, um Rita nicht zu erschrecken … aber wenn Gerholdt allein bei dem Pferd stand und ihm das eisverkrustete Heu zu fressen gab, das er in den verlassenen Scheunen zusammenkratzte, wenn er über dem
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