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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wärmenden Halme eingewühlt, umgeben von Decken und Federbetten. Nur ihr Kopf ragte daraus hervor, ein schmaler, zarter Kopf mit großen, schönen Augen.
    »Der Krieg kommt wieder«, sagte sie leise.
    Gerholdt biß sich auf die Lippen.
    »Er geht vorüber, Rita.«
    »Ich habe gedacht, ich höre es nie wieder. Jetzt wird es immer deutlicher …«
    Frau v. Knörringen schloß die Augen. Wir fahren ihm entgegen, dachte sie. Wir fahren mitten hinein in den Tod. Wir haben unseren Wettlauf verloren. Wohin wir auch wollen – überall wird der Russe zuerst dort sein. Wir wanken innerhalb eines Kreises herum, in einem brennenden Kreis, bis wir wie der ausweglose Skorpion die Stachel gegen uns selbst richten und uns töten. In der Verzweiflung noch zu stolz, sich töten zu lassen …
    Frank Gerholdt hielt das Pferd an und schaute hinüber auf die näher kommende Kampflinie.
    »Wir werden Danzig erreichen!« sagte er laut.
    »Dann müßten wir fliegen«, antwortete Frau v. Knörringen.
    »Der Russe steht im Westen … aber im Norden und im Osten ist es noch still! Wir sind in einem Schlauch, der noch unbesetzt ist! Durch ihn müssen wir Danzig erreichen, ehe der Russe seine Divisionen vereinigt!«
    »Das kann morgen oder übermorgen sein –«
    »Oder in einer Woche! Wir kommen durch –«
    »Gott wolle es!«
    »Ich will es!«
    Frau v. Knörringen schwieg. Sie sah zu Gerholdt hinauf, dessen Kopf gegen den Nachthimmel aussah, als schwämme er im Nebel. Sie hatte plötzlich Angst. Nicht vor den Russen, sondern vor Frank Gerholdt. Er ist irrsinnig, durchfuhr es sie. Ich habe es nie erkannt, ich habe nie darüber nachgedacht – aber er muß irr sein! Ein Vernünftiger besitzt in dieser Situation keine Kraft mehr, er wäre längst zusammengebrochen. Nur ein Irrer hat das Reservoir unheimlicher Naturkräfte. Wie er da auf seinem Bock sitzt und sagt: Ich will es! – das ist Irrsinn. Das ist eine Herausforderung Gottes! Das kann nicht gut gehen … er wird uns in das furchtbarste Ende führen, das je drei Menschen und ein Tier erlitten.
    Sie fuhren weiter. Zwei Nächte … drei Nächte … in der vierten Nacht hörten sie deutlich die Gewehrschüsse und das Rattern von Maschinengewehren. Es zog neben ihnen her, nordwärts, Danzig und dem Meer entgegen. Vor ihnen und östlich von ihnen war es still. Unheimlich still wie das Vakuum vor einem Orkan.
    »Wir ziehen mit den Russen nach Danzig«, sagte Gerholdt und schaute nach Westen. »Ein Bauernwagen gegen eine Armee!«
    »Sie brauchen nur zu schwenken –«
    »Warum sollten sie das?«
    Sie kamen durch ein verlassenes, ausgestorbenes Dorf. Hier verkrochen sie sich den Tag über und schliefen in einer Scheune. Am Nachmittag kroch Gerholdt von Haus zu Haus, von Stall zu Stall. Er fand zwei leere Maschinenpistolen-Magazine, er las zweihundert Patronen auf und füllte die Magazine, hüllte die anderen Patronen in einem Gummimantel und verstaute sie vor der Feuchtigkeit im Stroh des Wagens. Dreihundertsechsundfünfzig Schuß, dachte er. Mit diesen dreihundertsechsundfünfzig Schuß werde ich Danzig erreichen! Diese kleinen Patronen sind mehr wert als meine ganzen Millionen in fünfzehn verschiedenen Ländern.
    Dann kochte er eine ganze Büchse Gulasch mit Nudeln, eine Verschwendung, die er sich und den beiden Frauen leistete, weil er wußte, daß die kommende Nacht eine Entscheidung war. Wie eine Henkersmahlzeit aßen sie das heiße Gericht, stumm, wissend, was das üppige Abendessen zu bedeuten hatte. Selbst Rita ahnte es und würgte an den Bissen. Aber sie weinte nicht, sie fragte nicht … sie sah zu Gerholdt hinüber und empfand ein Vertrauen, das sie innerlich beruhigte.
    Papi hat immer recht gehabt … Papi wird es schaffen. Es gibt nichts auf der Welt, was Papi nicht kann …
    Als die Nacht kam, als Rita bereits im Stroh versteckt und in Betten und Decken gehüllt warm verpackt war, legte Frau v. Knörringen die Hand auf den Arm Gerholdts, der das Pferd anschirrte.
    »Die letzte Nacht?«
    »Inmitten der Russen.«
    »Wollen Sie nicht allein versuchen, durchzubrechen?«
    »Reden Sie nicht weiter solchen Blödsinn«, sagte Gerholdt grob.
    »Sie wollen es mit Gewalt?«
    »Wenn es sein muß –«
    »Mit einer einzigen Maschinenpistole?«
    »Wenn es sein muß, mit einem Knüppel!« Er hob die Hand, als Frau v. Knörringen noch etwas sagen wollte. »Steigen Sie in den Wagen!« sagte er laut befehlend. »Legen Sie sich flach ins Stroh und machen Sie die Augen zu, legen Sie die Hände an die

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