Schicksal aus zweiter Hand
nicht diskutieren – wenn er etwas will, dann wird es ausgeführt. Und wenn es noch so unverständlich ist … erst später weiß man, daß es gut war. Denn alles, was Paps bisher getan hat, war gut. Für uns alle gut –
Die Hoffnungen Ritas erfüllten sich nicht. In Lohausen bekam sie keine Zeit. Es war, als ahnte es Gerholdt … immer war er an ihrer Seite, nicht einen Augenblick ließ er sie aus seinen Blicken. Der Brief, den Rita sofort nach der Ankunft in Ischia zur Poststation brachte, wurde von Gerholdt vor Abgang des Postschiffes wieder zurückerbeten. Er öffnete den Brief nicht –, er zerriß ihn und streute die kleinen Papierfetzen von einer Klippe hinab in das blaue Meer, wo sie wie weiße Federn sich auf den Wellen wiegten und dann versanken.
Am nächsten Morgen, als Gerholdt und Rita schon über München flogen, rief Fred v. Buckow in dem weißen Haus am Rhein an. Frau v. Knörringen, übermüdet und durch das Benehmen Gerholdts beleidigt, war kurz und verschlossen.
»Fräulein Gerholdt ist nicht hier«, sagte sie und wollte auflegen, aber die Stimme Freds sprach weiter.
»Könnten Sie ihr bitte etwas bestellen?«
»Kaum.«
»Kaum? Wie soll ich das verstehen?«
»So, wie es gesagt ist«, antwortete Frau v. Knörringen etwas schnippisch. »Herr und Fräulein Gerholdt sind verreist. Für längere Zeit.«
»Verreist?« In Freds Stimme schwang die Erregung mit. »Mein Gott – wohin denn?«
»Das geht Sie wohl nichts an, nicht wahr?«
Ärgerlich legte Frau v. Knörringen auf. Dumme Jungs, dachte sie. Nicht einmal vorgestellt hat er sich. Sie hat wirklich keine Manieren mehr, die heutige Jugend. –
Nun waren sie in Italien und saßen auf der Terrasse des Hotels ›Sorrento‹ auf Ischia hoch über dem Meer und sahen hinaus auf die Segelboote.
Rita trank eine Orangeade mit Eis und rührte mit einem Strohhalm die kleinen Eisstückchen unter das Fruchtfleisch der Apfelsinen.
»Warum Fred nicht schreibt«, sagte sie plötzlich. Gerholdt, der die Frankfurter Zeitung las, die er sich wegen der Börsenkurse nach Ischia nachschicken ließ, blickte kurz und forschend auf.
»Er wird andere Sorgen haben, mein Kleines.«
»Ich habe ihm schon dreimal geschrieben.«
»Er wird sich um seine Schwermoleküle kümmern …«
»Du spottest, Paps«, schmollte Rita. »Er hätte zumindest mit einer Karte meine Briefe bestätigen können.«
»Das hätte er tun können.«
»Hast du Mama auch immer so lange warten lassen mit Post?«
Gerholdt hob die Zeitung hoch und schlug die Beine übereinander.
»Ich habe ihr immer geschrieben, wo auch immer ich war.«
Rita nickte ernst. »Es ist das alte Lied … so einen guten Mann wie den eigenen Paps gibt es einfach nicht wieder.«
Gerholdt biß sich auf die Lippen. Nicht mehr daran denken … bloß nicht wieder diese Zuckungen des Gewissens, diese dumme Unsicherheit, diese Selbstzerfleischung.
»Vielleicht will er gar nicht schreiben.«
Rita warf den Strohhalm auf den Tisch. Mit großen Augen sah sie ihren Vater an. »Wieso denn, Paps?«
»Ein junger Mann in einer Großstadt, als Student noch, hat eine große Auswahl in hübschen Mädchen.« Er ließ die Zeitung sinken und ergriff Ritas Hand. In ihren Augen sah er Nachdenklichkeit und eine unterdrückte Angst. »Ich will dir nicht weh tun, Kleines … aber die Männer sind eben so. Das Naheliegende, Greifbare ist ihnen lieber als die ferne Sehnsucht.«
»Wenn Fred mich wirklich liebt, tut er so etwas nicht.«
»Wenn er dich wirklich liebt.«
»Du kennst ihn ja nicht, Paps!«
Gerholdt schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Er spielte ja den Mann im Hintergrund.«
»Du würdest von ihm anders denken, wenn du mit ihm gesprochen hättest.«
»Vielleicht.«
»Er ist so lieb, so gut, so klug …«
»Spare dir deine Superlative! Im Augenblick ist er nichts anderes als stumm.« Gerholdt sah hinaus auf das Meer. Die Sonne ging unter und vergoldete schon den Horizont. »Mir wäre es auch lieber, er bliebe stumm.«
Ritas Kopf fuhr herum. »Aber du hast doch selbst gesagt –«
Gerholdt schüttelte den Kopf.
»Ich habe mir sehr Gedanken über deine Zukunft gemacht. Was willst du nach dem Examen tun?«
»Aber Paps!« Rita lächelte ihn an. »Wirst du alt? Darüber haben wir doch so oft gesprochen. Zunächst werde ich in dein Werk eintreten, als Werkärztin und Leiterin des Kindergartens. Vielleicht ist Fred in drei oder vier Jahren soweit, daß er seine ersten Erfolge vorweisen kann und auch dich damit
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