Schicksal aus zweiter Hand
Stahlplättchen ab und stand daneben, als der Meister und später der Abteilungsleiter der Fabrik die Kästen stichprobenartig durchwühlten.
»Ausschuß?« fragte der Meister kritisch.
»Unter drei Prozent.«
»Wie bitte?« Er sah den Abteilungsleiter an. »Wohl größenwahnsinnig, was?«
»Sie können ja kontrollieren! Wenn ich eine Arbeit übernehme, dann liefere ich sie sauber und ordentlich ab!« Gerholdt griff in eine der Kisten und hob mit beiden Händen einen Haufen der Stahlplättchen heraus. »Bitte – eine wie die andere. Ich glaube, Sie können zufrieden sein.«
Der Meister und der Abteilungsleiter antworteten nicht darauf, sondern gaben ihm einige Kisten mehr an Arbeit mit. Drei Tage später fuhr ein Lastwagen vor dem Haus vor, und zwei Arbeiter wuchteten eine neue Bohrmaschine die Treppen hinauf und in Frau Möllens Wohnung. Jammernd kam sie in das Zimmer, in dem Gerholdt an der kleinen Maschine saß und die Löcher in das Metall drückte.
»Sie bringen eine ganze Fabrik!« schrie sie erregt. »Das hier ist ein Miethaus, aber keine Zweigstelle von Krupp!«
Sie wurde zur Seite gedrängt. Die beiden Arbeiter schleppten die schwere Maschine ins Zimmer und stellten sie vor dem verwunderten Gerholdt an das Fenster. Es war eine nagelneue elektrische Bohr- und Fräsmaschine, die auf einem Fuß aufmontiert wurde.
Frank Gerholdt strich mit zitternden Händen über das blanke Metall. »Habt ihr euch nicht in der Adresse geirrt?« fragte er leise die Arbeiter.
»Nee!« Sie wischten sich den Schweiß vom Gesicht und sahen sich um. »Der Chef sagte, daß diese Maschine leihweise zu Ihnen kommen sollte. Alles weitere erführen Sie in den nächsten Tagen.« Sie blickten sich wieder um, als suchten sie etwas, und grinsten dann Gerholdt an. »Nach solch 'ner schweren Fuhre wäre ein Glas Bier das richtige.«
»Natürlich!« Gerholdt lief an die Tür und rief in den Flur hinauf. »Frau Möllen! Vier Flaschen Bier für meine Freunde! Und bitte schnell! Vier Flaschen!«
Frau Möllen stürzte aus der Küche. »Bier?« Sie machte mit dem Daumen und Zeigefinger das Zeichen des Bezahlens. Gerholdt winkte ab. »Gehen Sie schon«, sagte er unwillig. »Das machen wir gleich!«
Am Abend, als der Fuß heraufgetragen war, die Maschine fertig montiert neben dem Fenster stand, saßen Gerholdt und Frau Möllen davor wie vor einem wertvollen Standbild und betrachteten still und im Inneren glücklich das schwach im Lampenschein glitzernde Metall, die verchromten Handgriffe, die geölten Lager und Schienen. Nebenan, in einem neuen Kinderbettchen, schlief tief und mit einem stillen Lächeln auf den kleinen Lippen Rita.
»Jetzt werde ich nicht mehr auf Montage gehen«, sagte Gerholdt leise. Es war, als durchzöge ihn eine ganz neue Lebenskraft, als strahle diese Maschine eine Energie aus, die seinen Körper und sein Inneres ergriff. »Mit bloßen Händen haben wir angefangen … jetzt haben wir schon eine kleine elektrische Maschine. Wir sind Glückskinder, Frau Möllen … wir haben Arbeit, während draußen zwei Millionen Männer hungernd an den Straßenecken stehen!« Er wandte sich ab, trat an das Fenster und lehnte den heißen Kopf an die kühle Scheibe. Ein Gefühl von Scham und Schuld durchzog ihn und machte ihn unruhig und schlaff. »Ich habe es nicht verdient«, sagte er leise.
Frau Möllen sah ihn verblüfft an.
»Sie haben gearbeitet – wie ein Pferd. Sie haben Ihre kleine Tochter versorgt, besser wie eine Mutter. Sie haben alles nur für sie getan. Sie sind ein guter Mensch, Herr Gerholdt.«
Er schüttelte den Kopf, aber er schwieg. Er starrte aus dem Fenster hinaus auf die stille, abendliche Riehlerstraße, auf die Bäume und auf den Rhein, den er ein kleines Stück sehen konnte. Unter ihm erklang aus einem geöffneten Fenster Musik. Der Herr Kanzleivorsteher saß wieder am Radio und las bestimmt in zufriedener Ruhe und bürgerlicher Beschaulichkeit seinen Kölner Stadt-Anzeiger.
»Von heute auf morgen kann alles vorbei sein, Frau Möllen«, sagte Gerholdt leise. »Versprechen Sie mir, daß Sie dann für Rita sorgen werden, so, als sei es Ihr Kind?«
»Aber Herr Gerholdt!« Frau Möllen schlug die Hände zusammen. »Was soll das?«
»Und denken Sie nicht zu schlecht von mir. Sie sind der einzige Mensch, zu dem ich Vertrauen habe und dem ich Rita geben würde.«
»Sie wollen weg? Ohne Rita?« Frau Möllen saß starr neben der Maschine. Sie begriff nicht, was sie eben gehört hatte, und wischte sich immer
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