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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wieder mit der Hand über die Augen und das Haar.
    »Wollen? Wenn es davon abhinge …! Vielleicht muß ich weg. Für lange Zeit.«
    »Sie müssen?!«
    Frank Gerholdt drehte sich herum. Er sah die verständnislosen Augen Frau Möllens und lächelte schwach und krampfhaft. Mit einer gespielten Lustigkeit winkte er ab. »Was reden wir?!« rief er und trat in den Raum zurück. »Trinken wir auf unsere neue Maschine! Haben wir noch Bier, Frau Möllen?!«
    »Eine halbe Flasche Wacholder nur noch …«
    »Dann her mit dem Wacholder! Den heutigen Tag müssen wir begießen! Eigentlich gehört eine Flasche Sekt dazu!«
    »Sekt?!« Frau Möllen erhob sich ächzend. »Sie sind ein Verschwender, Herr Gerholdt! Mein Seliger sagte immer: Man kann den Charakter des Menschen daran erkennen, wie er sich benimmt, wenn er Geld bekommt! Hat er das nicht klug gesagt?«
    »Sehr klug!« Gerholdt schob Frau Möllen aus dem Zimmer. »Und nun schnell die Flasche Wacholder! Wir haben einen Grund zum Feiern.«
    Dann stand er allein im Zimmer. Es roch nach Öl, Metallstaub, heißem Eisen und ranzigem Staufferfett. Der Mond schob sich durch das Fenster, nebenan schlief Rita in ihrem neuen Bettchen, vor ihm stand die blinkende Maschine, und er hatte das Gefühl, schluchzen zu müssen.
    Wie soll das alles weitergehen, dachte er. Sie werden meine Arbeit anmelden müssen – – – und dann haben sie mich. Dann ist der Traum vorbei, kaum daß er begonnen hat. Dann wird Rita zum zweitenmal ihren Vater verlieren und in ein Waisenhaus kommen, während er hinter den dicken Zuchthausmauern die Jahre absitzen wird, die ein Gesetz bestimmte. In einem Waisenhaus würde sie aufwachsen, ohne persönliche Liebe, ohne das Glück, an der Hand des Vaters an einem Sommertag durch die Wälder zu tollen und mit ihrem Lachen den blauen Himmel zu erfüllen. Vielleicht adoptierte sie später jemand, das blasse, schmale, blonde Mädchen mit den traurigen Augen, und sie mußte Vater und Mutter sagen, und jedesmal gab es ihr einen Stich ins kleine Herz bei diesen Worten, die nicht aus der Seele kamen.
    »Nie!« sagte Frank Gerholdt. »Nie! Und wenn ich durch die ganze Welt flüchte! Ich gebe Rita nie wieder her!«
    Frau Möllen kam mit der halben Flasche Wacholder. Verwundert sah sie auf Gerholdt, der mit geballten Fäusten inmitten des Zimmers stand.
    »Was haben Sie denn?« fragte sie und stellte die Flasche hin.
    »Nichts.« Er winkte mit einem schwachen Lächeln ab. »Wissen Sie – manchmal ist es auch schwer, einen Aufstieg zu erleben …«

2
    In der Universitäts-Kinderklinik des größten Kölner Krankenhauses, der ›Lindenburg‹, saß Gerholdt dem Oberarzt Dr. Manger gegenüber. Die Gardinen waren vor das Fenster gezogen, die kleine Nachttischlampe war abgeschirmt. Draußen stand die Nacht, eine stürmische Herbstnacht, die das Laub von den Bäumen wehte und es raschelnd vor sich her über die geharkten Wege der Klinikgärten trieb.
    Rita schlief. Ihr schmales Gesicht sah blaß und spitz aus dem Kissen hervor. Die Hände, die auf der weißen Decke lagen, waren wie aus Glas … durchsichtig, dünn, durchzogen mit winzigen blauen Äderchen, in denen das Blut pulste … das farblose, sich kaum noch erneuernde Blut, das alle Kraft aus dem kleinen Körper saugte.
    Dr. Manger hatte die Hände gefaltet und sah auf das leise atmende Kind. Gerholdt, am Kopfende des Bettes, saß zusammengesunken in der Dämmerung und starrte in das großflächige Gesicht des Arztes.
    »Sie sagen nichts, Herr Doktor …« Gerholdts Stimme war verloren in dem stillen Zimmer. Sie hatte keinen Klang mehr. Die ganze Dumpfheit einer schrecklichen Ohnmacht vor dem Geschehen war in ihr.
    Dr. Manger sah kurz zu Gerholdt hinüber. »Wir müssen den Laborbericht abwarten.« Er legte seine Hand auf den Puls Ritas und sah auf seine Armbanduhr.
    »Schwach?« stammelte Gerholdt.
    »Sehr schwach.«
    Gerholdt grub die Zahne in die Unterlippe. Er hatte das Gefühl, weinen zu müssen, haltlos zu weinen. »Sie darf nicht sterben«, sagte er kaum hörbar. »Es ist unmöglich, daß sie stirbt. Sie ist das einzige, was ich auf dieser Welt noch habe! Sie ist – – –« Er schwieg abrupt und wandte den Kopf zur Seite. Dr. Manger blickte kurz zu ihm hinüber. Er hatte viele Eltern an den Betten sterbender Kinder sitzen und stehen sehen, er hatte die Tränen der Mütter miterlitten und den stillen, fast verbissenen Schmerz der Väter, die weder Gott noch das Schicksal mehr verstanden. Er war abgehärtet gegen

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