Schicksal aus zweiter Hand
ein Scherz war oder eine moralische Ohrfeige, und saß in der folgenden Stunde still hinter seinen Büchern und brütete darüber nach.
Mit der Übernahme der Fabrik durch Gerholdt kam auch ein Trupp Facharbeiter in die Hallen. Neue Maschinen wurden auf Kredit gekauft, die Verbindungen zu den Auslandskunden wurden anhand der Korrespondenzmappe wieder aufgenommen. Nach der Neueintragung ins Handelsregister war Gerholdt eine Stunde beim Präsidenten der Industrie- und Handelskammer vorstellig geworden. Er legte seine Lage klar, er verschwieg nicht, daß er um Aufträge bettelte. Vor allem in den Export wollte er wieder hinein. Schon drei Wochen später bestellten die ersten Fertigungswerke kaltgewalzte Stücke bei Gerholdt. Die ersten Auslandskunden fragten an. Vorsichtig, tastend, noch nicht wissend, wer den alten, guten Silberbaum abgelöst hatte. Man erkundigte sich zunächst nach Lieferterminen und dem neuen Lieferprogramm.
Von diesem Tage an begann der Kampf Gerholdts gegen die wachsame Konkurrenz, die sich schon sicher glaubte, das Erbe des vernichteten Silberbaums angetreten zu haben.
Es war ein stiller, unterirdischer Kampf. Ein Kampf in der Dunkelheit der Anonymität. Er begann mit Rückfragen der Devisenbeschaffungsstelle und endete mit Kreditsperren der Reichsbank. Aber – getreu der Parole Bergers, daß nur eine Parteinummer zum Sieg gehört – überwand Gerholdt diese Schwierigkeiten mit dem Hinweis auf seine SA-Zugehörigkeit. Resignierend wurden ihm die notwendigen Devisen bewilligt, ja, es vollzog sich sogar ein Umschwung in der Auffassung der maßgebenden Stellen, den Gerholdt daran merkte, daß man ihn wohlwollend behandelte und ihm in einigen Dingen sogar entgegenkam.
Die Konkurrenzfirmen schwiegen. Ein SA-Mann als Nachfolger des alten Silberbaums – das war schlimmer, als man es jemals gedacht hatte. Von jetzt an mußte man mit den ›Niederrheinischen Walzwerken‹ rechnen.
In den Direktionszimmern von Düsseldorf und Duisburg, Essen und Oberhausen, Bochum und Wanne-Eickel stellte man Nachforschungen an. Wer ist dieser Frank Gerholdt? Woher kommt er? Ist er Fachmann? Woher kann er das Geld haben, den alten Silberbaum einfach aufzukaufen? Die Nachforschungen verliefen im Sande. Schimmelpfennig und andere Auskunftsinstitute liefen sich tot … man wußte nur eins, daß das Privatkonto Gerholdts fast fünfzigtausend Mark betrug, daß er große Bankkredite erhalten hatte und daß sein Walzwerk sogar staatliche Aufträge erhielt. Kein Wunder – er war SA-Mann.
Dabei hatte Gerholdt seinen SA-Sturm seit über einem Jahr nicht mehr gesehen. Er zahlte zwar treu und brav in die Parteikasse ein, zeichnete auf allen Sammellisten und gab seinen Arbeitern samstags frei, wenn sie zu Versammlungen oder Aufmärschen mußten; aber das war auch alles, was er sich politisch leistete. Er besuchte keine Veranstaltung … er stiftete einige hundert Mark für ihre Ausgestaltung. Er marschierte am Erntedankfest nicht mit … er schickte lediglich an die Kreisleitung der NSV zwei Zentner Lebensmittel zur Verteilung an die Armen. So kam er in den Ruf, ein guter, ein großer Nationalsozialist zu sein, ein glühender Idealist und treuer Gefolgsmann des Führers.
Als außerhalb Düsseldorfs ein Heim für ledige Kinder erbaut wurde, stiftete er sofort viertausend Mark für die Anschaffung von Betten und Wäsche. Der Kreisleiter und der Leiter der NSV bedankten sich persönlich bei Gerholdt in der Fabrik. Sie kamen in großer Uniform, mit den Orden des Ersten Weltkrieges geschmückt, sprachen markige Worte des Dankes und versprachen ein immerwährendes Gedenken der Nation. »Ihre nationalsozialistische Hilfsbereitschaft wird unvergessen bleiben!« sagte der Kreisleiter, fast selbst erschüttert von seinen herrlichen Worten. »Wir sind stolz, Sie in unserer Mitte zu wissen. Mit Männern wie Ihnen wird unser Volk aufblühen und nie mehr untergehen!« Daß der Herr Kreisleiter dabei ein wenig grammatikalisch falsch sprach, fiel nicht so sehr ins Gewicht wie die Überreichung einer Plakette der NSV, auf der zu lesen stand, daß mit ihr die Dankbarkeit der Reichsleitung zum Ausdruck komme.
Das alles nahm Gerholdt am Rande seines Lebens wahr und mit. Sein Ziel lag weiter, als ein Wohltäter der Partei zu sein. Mit der Partei gegen die Partei, das war eine der stillen Thesen Gerholdts. Er bediente sich für dieses Puzzlespiel der Mentalität eines Herrn Berger und kam sich durchaus nicht schlecht vor. Andererseits aber, in
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