Schicksal aus zweiter Hand
habe ich mich erst erkundigt … über Sie …«
»Ach!« Gerholdt sah Dr. Schwab lauernd an. Was bedeutete dieser Satz? War er eine Drohung … was wußte Dr. Schwab? Sollte er für irgendeine noch unbekannte Schweinerei erpreßt werden? Dr. Schwab schloß die Schnappverschlüsse seiner neuen Aktentasche.
»Ich habe erkannt, daß Sie das sind, was man in Amerika heute einen Selfmademan nennt. Einer, der nicht in den Betrieb geboren wurde, sondern der ihn mit eigenen Händen und eigenem Schweiß aufbaute. Sie werden das meiste Verständnis aufbringen für das, was vor uns liegt. Sie haben selbst mit hochgekrempelten Ärmeln an der Maschine gestanden und waren zäh bis zum Erfolg. Diese Zähigkeit brauchen wir. Darum – das gestehe ich Ihnen jetzt frei – kam ich auch zuerst zu Ihnen. Wir sind eine neue, junge Generation, die Deutschland im Geiste des –«
»Stop!« Gerholdt hob die Hand. »Keine Propagandarede im Sinne der Sonntagsschulung der Partei! Das kann der Kreispropagandaredner besser als wir. Was uns angeht, ist – wie Sie eben sagten – nur der Erfolg! Das Ziel, Herr Dr. Schwab! Dafür leben wir.«
»Wir verstehen uns, Herr Gerholdt.« Dr. Schwab lächelte.
Gerholdt atmete auf. »Ich glaube es auch.« Er drückte auf einen Klingelknopf neben dem Schreibtisch. »Ich werde den Optionsvertrag gleich diktieren. Morgen fahre ich nach Düsseldorf und dann nach Berlin. Wir werden die Million bekommen.«
Es klopfte. Die Sekretärin, ein neues Gesicht im Werk, trat ein. Sie hatte den Stenogrammblock unter den Arm geklemmt und nickte den Herren zu.
»Bitte?«
Gerholdt winkte zu einem Stuhl hin. Er ging mit großen Schritten hin und her und diktierte. Wenn er an dem großen Fenster vorbeiging, fiel das Licht des kalten Wintertages auf seine Haare. Sie begannen, an den Schläfen grau zu werden.
Im Frühjahr sollte die Hochzeit sein.
Irene Hartung lebte nur für diesen Tag. Der plötzliche Wechsel in ihrem Leben, die Turbulenz, die Gerholdt erfaßte, als er den Gewinn von hunderttausend Mark in den Händen hielt, der Kauf und der Ausbau der Fabrik des alten Jakob Silberbaum, alles floß an ihr vorüber wie ein reißender Strom, vor dem sie eine instinktive Angst empfand, obwohl sie nicht sagen konnte, vor wem sie Furcht empfand oder was ihr an dem Erfolg Gerholdts fast unheimlich war. Sie hatten in diesen Wochen und Monaten nur wenig Zeit füreinander … Gerholdt war stets unterwegs, führte in vielen Städten Verhandlungen, vor allem in Süddeutschland. Norddeutschland mied er … dorthin schickte er einen Beauftragten mit allen Vollmachten … nach Hamburg sogar vermied er den Abgesandten und verhandelte mit Bremen, wenn es darum ging, Rohstahl aus Schweden zu entladen.
Um Hamburg machte er stets einen Bogen … dort saß noch immer in der Kriminalpolizei Dr. Werner. Er hatte das Morddezernat übernommen und jagte im Augenblick – wie die Zeitungen schrieben – die Autofallenverbrecher, die nach einem Sondergesetz im Schnellverfahren zum Tode verurteilt wurden.
Die Akte Frank Gerholdt hatte er in sein Dezernat mitgenommen. Sie hatte mit Mord nichts zu tun, aber für Dr. Werner war dieser rätselvolle, ungeklärte Fall so etwas wie die Klippe seines Lebens, an der er nicht vorbeigesegelt war, sondern an der er zerschellte und mit Not und Mühe wieder das Ufer erreichen konnte. Es gab manche ungeklärte Fälle in den Aktenschränken der Hamburger Kriminalpolizei … der Fall Gerholdt wanderte mit, wohin Dr. Werner auch zog. Er war zu einem Symbol für ihn geworden: Wenn ich jemals diesen Gerholdt vor mir stehen habe, werde auch ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere stehen!
Es war, als ob Frank Gerholdt dieses ahnte. Anzeigen in den Fachblättern, Briefköpfe und Vertreterausweise trugen nur den neutralen Firmennamen, nicht seinen eigenen. Der Name Gerholdt wurde nie bekannt … man kannte ihn nur in den Hallen und dem Verwaltungsgebäude der Fabrik. Vertreterbesuche empfing ein Prokurist, den Gerholdt dem zuerst sehr beleidigten Hauptbuchhalter Kreck vor die Nase setzte. Nur ganz wenige Außenstehende durchbrachen die Abschirmung und verhandelten mit Gerholdt selbst. Meistens kamen sie aus dem Ausland, aus der Schweiz, Italien, Rumänien, Bulgarien und den vorderasiatischen Ländern.
Die wenigen Sonnabende und Sonntage, die Gerholdt für sich frei nahm, verlebte er mit Irene Hartung und Rita. Sie fuhren mit dem Wagen den Rhein hinauf und gingen spazieren … Rita in der Mitte, die kleinen
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