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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der rückwärtigen Front, hieß es in seinem Marschbefehl.
    In höchster Not schickte Frau v. Knörringen ein Telegramm nach Düsseldorf an Frank Gerholdt.
    »Holt Rita ab. Knörringen.«
    Frank Gerholdt erhielt das Telegramm am Abend. Er saß in seinem unterirdischen Büro neben Dr. Schwab und schrieb einen sehr freimütigen Bericht an den Gauleiter.
    »Von den mir als Arbeitern zugewiesenen 300 KZ-Häftlingen sind im Laufe der letzten drei Wochen 46 (in Worten sechsundvierzig!) an Entkräftung, Furunkulose oder Herzinfarkten gestorben! Weitere 59 liegen im Krankenrevier. Ich protestiere hiermit gegen die menschenunwürdige Behandlung meiner Arbeiter und bitte um Zuweisung von mehr Lebensmitteln, vollständigem Lazarettmaterial und besseren Werkzeugen! Sollte dies nicht eintreffen, müßte ich dem Führer melden, daß der Fortgang der staatswichtigen Arbeiten durch Mangel an Organisation gefährdet oder gar unmöglich gemacht wird.«
    Die Antwort kam prompt. Sie lautete kurz:
    »Mehr Lebensmittel oder gar Lazarettmaterial sind nicht zu beschaffen. Dagegen werden wir jeweils die Ausfälle an KZ-Häftlingen auffüllen. Mit dem morgigen Transport kommen 200 neue Arbeiter.«
    Und als ironische Krönung des Schreibens stand als Nachsatz darunter:
    »Wenn wir auch keine Lebensmittel haben – KZler haben wir genug, um noch einige Jahre durchzuhalten.«
    Frank Gerholdt las diesen Brief nicht mehr. Er hatte das Telegramm erhalten und war wortlos aus dem Raum gerannt. Dr. Schwab übernahm die ganze Fabrik. Er übernahm sie mit dem Willen, die Arbeiten so lange hinzuziehen, bis der Zusammenbruch vollkommen war. Er wollte Menschen schonen, Material, Geld. Er wollte nicht mehr. Der Wahnsinn der Arbeiten war so vollkommen und so deutlich, daß es Mord war, weitere Menschen an den unterirdischen Bauten zu opfern.
    Mit seinem Wagen raste Frank Gerholdt in der Nacht noch über die Autobahn nach Berlin. Von Berlin aus jagte er nach Stettin. Von Stettin nach Konitz. Dort, an der Grenze des Korridors, wurde er aus seinem Wagen herausgeholt. Feldgendarmerie beschlagnahmte seinen Wagen.
    »Was geht mich Ihr roter Winkel an?« schnauzte der Major, bei dem sich Gerholdt beschwerte. »Was heißt hier überhaupt: Staatswichtige Aufträge? Die sind in Düsseldorf, aber nicht in Konitz! Der Wagen gehört der Truppe!«
    »Ich werde es dem Führer melden!« schrie Gerholdt. »Ich muß weiter!«
    »Dem Führer?« Der Major der Feldgendarmerie lachte laut. »Der Führer ist weit! Aber wir sind hier! Wo wollen Sie überhaupt hin? Welcher Idiot fährt denn noch nach Osten?«
    »Ich will nach Ostpreußen!« sagte Gerholdt bleich vor Wut und erkannter Ohnmacht.
    »Nach wohin?« fragte der Major ungläubig.
    »Nach Angerburg.«
    »Und wo liegt das?«
    »Südlich von Ortelsburg.«
    Der Major schob Gerholdt eine Karte unter die Augen. Sie war bedeckt mit vielen Kreisen und bunten Strichen.
    »Hier steht der Russe … und dort … und da auch! Ganz Ostpreußen ist umklammert! ›Festung Ostpreußen‹ – wohl nie gehört, was? Vor Ortelsburg heulen die Stalinorgeln … um Königsberg herum zieht sich der Ring der Sowjets … die Brücken über die Oder werden zur Sprengung vorbereitet … was jetzt noch in Ostpreußen bleibt, ist verloren!«
    »Das ist ja furchtbar«, stammelte Gerholdt. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn. »Es kommt keiner mehr heraus? Keiner mehr?« fragte er leise.
    »In einer Woche nicht mehr. Seien Sie froh, daß wir Ihnen den Wagen beschlagnahmt haben … Sie waren dabei, Selbstmord zu begehen.«
    »Ich muß den Wagen haben! Ich muß! Ich muß!«
    Der Major winkte. Frank Gerholdt wurde an der Schulter gepackt und von zwei kräftigen Soldaten, deren blanke Schilde auf der Brust blitzten, vor die Tür gesetzt. Er wehrte sich nicht … er war wie gelähmt, er war unfähig, anderes zu denken als nur: Rita – – – o mein Gott, Rita! Die Russen sind in Ostpreußen … Ich werde Rita nie wiedersehen … nie … nie … Alles war umsonst. Alles! Das ganze neue Leben, dieses Schicksal aus zweiter Hand, das ich ihr geben wollte. Gott hat mich geschlagen, fürchterlicher geschlagen als die Leute von Sodom und Gomorrha … Er hat mich vernichtet mit dem einzigen, was ich auf Erden liebte …
    Er stand vor den Baracken der Feldgendarmerie und spürte nicht den kalten Wind, der von der Brahe herüberwehte und sich in seinem weißen, flatternden Haar verfing.
    Rita … dachte er nur. Meine kleine, süße Rita …
    Ein Unteroffizier ging an

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