Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
ihm vorbei, blieb verwundert stehen und wandte sich um.
    »Weitergehen!« brüllte er barsch.
    Frank Gerholdt ging langsam dem Fluß zu. Schleppend, ein müder, alter Mann. Ein von Gott Geschlagener. Er setzte sich auf einen umgestürzten Baumstamm am Ufer der Brahe und sah über das weite, verschneite, eisige Land. Ein Land, das die Weiten der russischen Steppen ahnen ließ, die Grenzenlosigkeit des Raumes, in dem Rita verschwinden würde, als sei sie nie gewesen … Ein sich im Nichts auflösender Mensch.
    Gerholdt griff an das Herz. Atemnot befiel ihn, ein Schwindelgefühl, das ihn im Sitzen schwanken ließ. Während er die Hand auf die Brust legte, spürte er die dicke Brieftasche in der Jacke.
    Geld … viel Geld … Fast dreißigtausend Mark.
    Was war jetzt Geld wert? Was nutzte ihm der Reichtum? Die Sehnsucht seines Lebens, die erfüllten herrlichen Träume – – Geld, viel, viel Geld – – – alles war ein Nichts geworden, ein Haufen Papier, das auf Ostpreußens Flüchtlingsstraßen in die Wassergräben und über die verschneiten Felder flatterte. Wertlos, sinnlos, bunte, schlecht gedruckte Bildchen, die keiner mehr beachtete.
    Er saß über eine Stunde am Ufer des Flusses. Er sah, wie sein beschlagnahmter Wagen weggefahren wurde … der Herr Major saß selbst am Steuer und lenkte ihn nach Westen … die Straße hinab, die er hinauf gekommen war.
    »Bande!« sagte Gerholdt laut. »Feige, säuische Bande!«
    Er erhob sich von seinem Baumstamm, durchgefroren, steif und durchzittert von einer völligen Hoffnungslosigkeit. Am Rande von Konitz sah er in einem Bauernhof einige Pferde stehen. Die Leiterwagen waren schon beladen … man wartete auf einen günstigen Tag, um fortzuziehen.
    Pferde … Gerholdt griff in die Brusttasche und betrat das Bauernhaus. Um einen hölzernen Tisch herum saßen einige Männer und Frauen und tranken Schnaps. Sie sahen kaum auf, als Gerholdt den Raum betrat. Viele gingen in diesen Tagen aus und ein, viele baten um Essen, viele um eine Nacht Ruhe.
    »Ich möchte ein Pferd!« sagte Gerholdt laut in die trinkende Runde hinein. »Wem gehören die Pferde draußen?«
    »Scher dich 'raus, Idiot!« sagte einer der Männer grob.
    »Ich bezahle es gut.«
    »Mit dem Geld kannste dir den Hintern abwischen.«
    Gerholdt lehnte sich an die Tür. Er hob seine Hand empor und streckte sie den Bauern entgegen. Zwischen den Fingern quollen die Geldscheine hervor.
    »Ich zahle fünftausend Mark für ein Pferd.«
    »'raus!«
    »Ich zahle siebentausend Mark!«
    »Wir brauchen die Pferde für unsere Wagen. Wir wollen wegen deiner lumpigen paar tausend Mark nicht dem Russen in die Hände fallen.«
    »Ich zahle zehntausend Mark!« schrie Gerholdt in den stillen Raum hinein. »Zehntausend Mark für ein einziges Pferd!«
    In der Nacht durchritt Gerholdt auf dem Pferd eine Furt der Brahe und galoppierte mit nassen, an seinen Körper anfrierenden Kleidern über das weite Land des Korridors, Ostpreußens Grenze entgegen.
    Dem Russen entgegen.
    Er klebte auf dem Pferd, er war fast festgefroren auf dem alten, rissigen, harten Sattel. Aber er ritt … er fraß unter den Hufen des Pferdes die Kilometer. Er ritt zwei Tage und zwei Nächte, bis er vom Pferd fiel und in einer verlassenen Scheune schlief. Wie ein Toter lag er im Heu, während das Pferd an seiner Seite in die Knie gebrochen war und kniend ein paar Happen von dem Heu fraß und dann umsank, mit zitternden Flanken und weißüberkrustetem Fell. Gefrorener Schweiß.
    Am nächsten Tag ritt er weiter. Er zwang das Pferd auf die schwankenden Beine, er schlug es sogar. Er, der Pferde mehr liebte als Menschen, er schlug ein Pferd und hieb mit den Absätzen seiner Schuhe in die Weichen, es zu neuem Galopp antreibend. Er hing über dem Hals des Pferdes, er umklammerte die Mähne … er konnte nicht mehr auf dem harten, eisüberzogenen Sattel sitzen, die Haut seines Gesäßes war wund, aufgesprungen. Das rohe Fleisch scheuerte an die Hose. Er verbiß den Schmerz … er stöhnte in die Mähne des Pferdes hinein, wenn sie über Bombenlöcher sprangen oder den Straßen auswichen und über die Felder rasten.
    Auf den Straßen fluteten die deutschen Divisionen zurück. Sie stauten sich an den Kreuzungen, sie drückten die endlosen Flüchtlingstrecks in die Gräben, sie überwalzten das Land.
    »Platz! Platz! Artillerie nach vorn!«
    Bei Deutsch-Eylau wurde die Straße von Flüchtlingen leergefegt. Kommandos der Feldgendarmerie warfen die hochbeladenen Bauernkarren, die

Weitere Kostenlose Bücher