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Schicksal aus zweiter Hand

Schicksal aus zweiter Hand

Titel: Schicksal aus zweiter Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sterben, so liebe ich sie.
    »Hast du große Angst gehabt?« fragte er und strich über ihre schmale Schulter. Rita schüttelte den Kopf.
    »Ich wußte, daß du kommst, Papi – – –«
    »Und wenn ich nicht gekommen wäre?«
    »Das gibt es gar nicht!« Sie küßte ihn auf die Augen. »Mein Papi läßt mich nicht allein – – –«
    Er nickte. Eine ungeheure Kraft durchrann ihn in diesem Augenblick. »Nie!« sagte er laut. »Nie lasse ich dich wieder allein!«
    Später saßen sie am Fenster und starrten hinaus nach Ortelsburg. Über den Himmel zuckte es wie Wetterleuchten. Die Luft war erfüllt mit Donnern und Grollen. Artillerie. Die Front.
    »Ich hatte schon alles gepackt«, sagte Frau von Knörringen stockend. »Am Abend vor der Flucht kamen Artilleristen ins Dorf und beschlagnahmten alle Pferde für die Geschütze. Was sollte ich machen? Die Wagen standen gepackt in der Scheune … auch diese haben sie weggenommen. Das ganze Essen, die ganze Reiseverpflegung. Ich hatte noch ein Schwein schlachten lassen. Nichts haben sie uns gelassen. Nur das nackte Leben. Uns kann nur noch ein Wunder helfen – das war meine einzige Hoffnung. Eine Hoffnung für Nichtsehende und Nichthörende.« Sie hob die Schultern. Über das zerfurchte, sorgenbleiche Gesicht lief ein Zucken. »Ich weiß nicht, wie wir jemals hier wegkommen. In zwei, drei Tagen wird der Russe hier sein. Das ist das Ende – – –«
    »Wir werden durchbrechen!« Gerholdt schob die Vorhänge vor die Fenster. Er sah, daß sich Rita vor dem zuckenden Nachthimmel fürchtete. Im Nachbardorf loderte eine Flamme auf und erhellte die verschneiten Felder. Russische Artillerie hatte ein Haus in Brand geschossen.
    »Ohne Pferde? Ohne Wagen? Ohne Lebensmittel?« fragte Frau von Knörringen.
    »Wir werden uns wie die Soldaten aus dem Land verpflegen.«
    »Das Land ist verlassen und öde. Es ist arm geworden innerhalb drei Wochen.«
    Gerholdt erhob sich. Er ballte die Fäuste und steckte sie in die Taschen. »Wir müssen es schaffen! Ich bin in den Kessel gekommen – ich werde auch wieder aus ihm herauskommen! Mit Ihnen und Rita! Wir haben noch das Pferd, mit dem ich gekommen bin.«
    »Es liegt im Stall und rührt sich nicht. Morgen wird es tot sein.«
    »Morgen werden wir schon unterwegs sein. Es wird keine Zeit haben zu sterben! Es muß uns ziehen!«
    »Es ist auch nur eine schwache Kreatur.«
    Gerholdt antwortete nicht. Er verließ das Zimmer. Im Stall leuchtete er mit einer Öllampe in die Boxen, bis er am Ende des Stalles inmitten alten Strohs das Pferd fand. Es lag auf der Seite und atmete kaum. Als es die Schritte Gerholdts hörte, öffnete es die Augen ein wenig und schob den Kopf über das Stroh hinweg zu Gerholdt hin.
    Er setzte sich neben den Kopf des Pferdes auf den Stallboden und streichelte über die verfilzte, lange Mähne.
    »Wir dürfen uns nicht ausschlafen«, sagte er zu dem Pferd. »Wir müssen weiter … zurück, über die Grenze. Wir dürfen keine Ruhe kennen … du nicht und ich nicht. Wir müssen die Zähne zusammenbeißen und wieder zurück durch Eis und Schnee ziehen, auch wenn wir lieber schlafen wollten. Ewig schlafen, nicht wahr, mein Junge?« Er tätschelte den Hals des Pferdes, fuhr mit der Hand über die trockenen Nüstern und zwischen den Augen entlang den Kopf empor.
    Der Kopf des Pferdes zitterte. Es war, als ob es die Worte verstand. Mit einem tiefen Seufzer richtete es sich auf die Knie auf und stand dann bebend im Stroh, den Kopf hängend und ganz leicht mit dem langen Schweif pendelnd.
    »Morgen früh«, sagte Gerholdt heiser. Er spürte ein Würgen im Hals und den Drang, zu weinen. Er umarmte den Kopf des Pferdes und drückte den zitternden Kopf an seine Brust. »Du allein kannst uns nur helfen. Nur du allein. Wir werden alle sterben müssen, wenn du versagst. Wir Menschen geben uns ganz in die Hand des Tieres … so weit sind wir schon gekommen, mein Junge.« Er drückte sein Gesicht auf die Stirn des Pferdes und klopfte den Hals. »Bis morgen früh, mein Junge. Bis dahin schlaf noch ein wenig. Du wirst es später kaum noch können …«
    Er verließ den Stall, leise, als störe er einen Schlafenden. Und es war, als verstände das Pferd jeden Gedanken des Mannes, als fühle es das Kommende und Schwere. Es legte sich wieder in das Stroh und schloß die großen, traurigen Augen.
    Schlafen. Bis morgen früh. Schlafen …
    Der Mensch ist machtlos geworden. Nur das Tier kann noch helfen – – –
    Als der Morgen dämmerte und die

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