Schicksal des Blutes
auslöste. Sie riss die Augen auf und die Arme schützend hoch, das Tablett schepperte samt Essen auf die Fliesen. Amy starrte in die Mündung einer Pistole. Doch der Mann dahinter jagte ihr weitaus mehr Angst ein.
„Nun werde ich mir meine fünfzehn Jahre wiederholen, die ich nur wegen dir hinter Gittern verbringen musste.“
~ ~
Ny’lane hing am Hals einer Schwarzen und zwang sich, zu trinken, obwohl sein Instinkt ihm einzubläuen versuchte, dies war die falsche Frau, das falsche Blut. Nun ja, er hatte vorher gewusst, es würde ihn hinterher martern. Aber gerade jetzt sah er es als seine höchste Pflicht an, in Amys Gegenwart die Kontrolle zu behalten. Deshalb musste er sich nähren, ständig.
Er kreiste die schmerzenden Schultern. Warum hatte er Timothy nicht gewittert? Weil er ihn nicht mochte? Weil er seine Gedanken nicht lesen konnte? Bestimmt schirmte dessen magische, eisblaue Aura sein Denken vor ihm ab. Amy hingegen fand das Halbblut sympathisch. Er hatte es deutlich gespürt und es hatte ihm nicht geschmeckt. Nun wusste er zumindest, Timothy war ihm mit seiner Gabe als Krýos haushoch überlegen. Der erste Gegner, gegen den er keine Chance hatte.
Nyl tastete über seine gebrochenen Rippen, die ihn noch quälten, aber heilten. Timothy war kein Feind. Er hatte ihn nicht absichtlich davongeschleudert. Timothys einmalige Gabe hatte seinen Wirt nur beschützt, als er angegriffen wurde. Außerdem hatte er ihm sofort geholfen. Dennoch beunruhigte der blonde Koloss ihn. Vielleicht, weil er immer über alles die Kontrolle zu behalten schien? Im Gegensatz zu ihm. Die brennenden Schnitte, die er sich allein durch den Aufprall auf die Aura zugezogen hatte, schlossen sich bereits. Wie gut, dass er keine Wunden im Gesicht abbekommen hatte. Amy hätte sich Sorgen gemacht und sie musste momentan weiß Gott genug durchmachen.
Ohne Vorwarnung traf ihn eine schwindelerregende Welle Unbehagen. Er war sofort sicher, Amys Gefühle zu spüren. Mit einem Zungenschlag versiegelte er den Biss und ließ die Frau zu Boden sinken. Schneller als der Wind sauste er durch die belebten Straßen, hangelte sich an der Außenfassade des neoklassizistischen Komplexes empor und verharrte wie ein düsterer Albtraum vor dem Fenster zu Amys Schlafzimmer. Nur mit äußerster Beherrschung zwang er sich, es für Menschen unhörbar aufzuschieben und ins Zimmer zu schlüpfen. Er spürte Amys Aufregung und ihre Furcht, die sich mit ihrem typischen Widerwillen paarte. Sie war unverletzt und er musste sich erst einmal einen Überblick verschaffen, bevor er einen unüberlegten Mord beging.
Er verschmolz mit den Schatten des Raumes, umrundete einen Schrank und sah schließlich die offene Tür zum Badezimmer. Ein großer Mann stand halb verdeckt mit dem Rücken zu ihm im Rahmen. Er trug einfache Kleidung und stank nach Unreinheit. Ny’lanes Fänge schmerzten vor Wut, die durch seinen angespannten Körper rauschte wie ein Hurrikan.
„Sag es mir, sofort!“, herrschte der Kerl Amy an, die er nicht sehen konnte. „Wo versteckt sich Grace?“
Die Klangfarbe der älteren Stimme ließ Nyl aufhorchen. Er drang in dessen Gedanken ein und filterte den Geruch. Irgendetwas verwirrte ihn, doch er verdrängte es, um sich auf den Mann zu konzentrieren. Die Erkenntnis überraschte ihn nicht im Mindesten. Amys Vater.
„Du kannst mich mal, Brandon. Verschwinde! Auf der Stelle. Du hast hier nichts mehr verloren und ich weiß nicht, wo Mom ist. Sie will dich nicht wiedersehen.“
„Das ist mir egal!“, brüllte Brandon. „Du konntest dein Maul mit dreizehn nicht halten. Ich werde es dir jetzt stopfen, sobald du mir die Konten …“
Nyl hatte genug gehört. Was Brandon sagte, war nicht halb so schlimm wie das, was er dachte. Ihr Dad musste bis an sein Lebensende weggesperrt werden.
Er huschte einige Schritte näher, stockte aber, als er die Pistole in Brandons ausgestreckter Hand sah. Beinahe wäre ihm ein Knurren entwichen. Der Mistkerl könnte aus Reflex abdrücken, wenn er über ihn herfiel.
Abermals lenkte etwas Ny’lanes Konzentration ab, etwas Sonderbares … etwas Unglaubliches … etwas schockierend Zerstörendes.
Seine Seele brach mit der Erkenntnis entzwei.
Nun war alles egal. Lautlos wie ein todbringender Nachtmahr fiel er über Brandon her und schlug ihn mit einem Faustschlag bewusstlos zu Boden. Der Schuss krachte in die Wand. Die Waffe zerquetschte Nyl in seiner Faust. Sein wütender Blick richtete sich auf Amy.
Amys
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