Schicksal des Blutes
und zu silbrig glühen.“
„Oh“, machte sie und Ny’lane wusste, hinter diesem einen Wort musste mehr stecken. Der Silberschein bedeutete unter anderem das Eindringen in tief liegende Erinnerungen seines Gegenübers. Ahnte sie es? Nur Jonas kannte sein Geheimnis. Außerdem tat er es allein aus Selbstschutz so selten wie möglich. Er nahm ihr Kinn zwischen zwei Finger und sah ihr ins Gesicht. „Was?“
Amy schluckte, hob den Arm und zeigte an die Decke zum Spiegel. Nyl wandte den Kopf empor und erstarrte. In den dunkelroten Linien seiner Rückentätowierung lief geädertes Silber. Deutlich hoben sich die eingeklappten Flügel nun von seiner dunklen Haut ab, pulsierten wie durch Magie erwachtes Quecksilber. Es strömte lebendig wie ein mystisches Lebewesen durch die Engelsflügel. „Heilige Jungfrau Maria!“
„Das ist neu, hm?“
„Und ob“, sagte er und war außerstande, seine Überraschung zu verbergen.
Er hatte Amy den Rest des Fluges schlafen lassen, ihr danach ein fürstliches Mahl serviert und schließlich landeten sie in den Morgenstunden auf dem San Francisco International Airport. Dank seiner mentalen Fähigkeiten waren Passkontrolle oder sonstiger zeitraubender Blödsinn niemals nötig und sie passierten unbehelligt die Kontrollen. Er legte einen Arm um Amys Schultern, obwohl er das drängende Gefühl hatte, sie tragen zu wollen, als sie aus der Halle ins Freie traten.
Augenblicklich schrillten seine Alarmglocken. Er spürte einen unbekannten Vampir in der Nähe. Er schüttelte sich innerlich. Am Flughafen verkehrten viele Wesen. Er war noch in seinem Blutrausch gefangen, was ihn überreagieren ließ. Amys Elixier glich einem exzessiven Aufputschmittel. Ihn beschlich das Gefühl, Amy könnte für ihn bestimmt sein, so wie er auf ihren Duft, auf ihr Blut und ihren hinreißenden Körper ansprach.
Sie sprangen in ein Taxi und Nyl zwang sich, seine Hand ruhig auf ihrem Oberschenkel liegen zu lassen, nicht schon wieder aufdringlich zu werden, wenngleich er sie heiß und innig begehrte. Nun, er hatte viel nachzuholen. Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Die Devise Abstand halten konnte er wohl vergessen.
Vor Amys Penthouse bezahlte Nyl den Fahrer, obwohl er sie sonst mental fortschickte. Als er ausstieg, versteifte sich sein Nacken. Er hörte eine Autotür in der Ferne. Adrenalin puschte ihn, er wusste nicht, weshalb. Seine Sinne erkannten kein bekanntes Gedankenmuster. „Amy, geh rein. Sofort.“
Sie wandte sich auf den Eingangsstufen rasch zu ihm um. „Was ist los?“
„Wir werden verfolgt.“
„Ich …!“
„Du gehst rein. Sofort!“ Sie folgte seiner Anweisung und er huschte in die nächste Gasse zwischen den emporragenden Hauswänden. Zorn wütete in seinem Magen. Er würde den Verfolger mit einem Hieb niederstrecken. Warum konnte er dessen Aura nicht spüren? Ein Vampir, aber wer? Es blieb keine Zeit, nachzudenken, seine Sinne intensiver auszusenden. Eine riesige Gestalt ging an dem dunklen Durchgang vorbei. Nyl preschte mit einem Satz vor, die Krallen und Fänge ausgefahren.
Plötzlich flammte vor ihm eine eisblaue Wand auf, gegen die er mit voller Wucht krachte. Eiskristalle schnitten wie skalpellscharfe Diamanten in seine Haut, während eine Explosion sein Trommelfell zerriss und ihn in hohem Bogen zurückschleuderte.
~ ~
Amy gab ihren Geheimcode ein und der Lift öffnete sich. Seltsamerweise stand Henry Snow nicht hinter dem ausladenden Marmortresen. Sie erinnerte sich an keinen einzigen Tag, an dem der Concierge nicht dort verweilte, um jeden Bewohner des Hauses zuvorkommend zu behandeln.
Sie betrat den Fahrstuhl, sah noch einmal durch die Glasfront der Lobby nach draußen, doch Ny’lane erschien nicht. Sie war fix und fertig, dennoch wollte sie sich nur kurz frisch machen und umziehen, dann zum Schloss der Bakers fahren, um endlich Fire in die Arme zu schließen und gleich darauf Cira. Nyl würde schon wissen, wie er in ihr Dachappartement kam. Sie rieb sich die müden Augen und ließ den Aufzug emporgleiten. Hier wurde alles per Computer gesteuert und durch Codes gesichert. Ihre Adresse ließ sich nicht so leicht herausfinden, wenn es jemand auf sie abgesehen hatte, sogar wenn man ihren Namen und ihre Ausweisnummer hatte. Trotzdem fühlte sie sich mit Ny’lanes Schutz wohler. Aber wegen der Presse und ihres Alten sollte sie einen Umzug in Betracht ziehen oder andere Maßnahmen ergreifen. Wie ihr siedend heiß einfiel, war Brandon vermutlich am
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