Schicksal des Blutes
Adlerauge, schwerhörige Greisin oder bettnässendes Kleinkind, manchmal auch andersherum. Das nimmt alles kein Ende. Wenn nicht ständig neue Menschen, Tiere und Wesen produziert würden, hätte ich vielleicht irgendwann mal alle durch und dürfte allein deshalb in die ewigen Jagdgründe eingehen. Echt, mir ist längst zum Kotzen zumute, wenn ich in eine neue Haut einziehen muss, was wohl derzeit zusätzlich an meiner Neigung liegt, mich unentwegt auf Hundehaufen niederzulassen.
Ich seufze theatralisch, schnüffle unter meinem Flügel und seufze abermals. Mist, Mist, Mist! Mit ’ner Biene hätte ich kein Problem, aber eine Schmeißfliege … Also wirklich. Doch ich habe keine Zeit, noch einen Tag zu vertrödeln, um mein Glück in einer anderen Gestalt zu suchen. Die Zeit drängt. Jetzt oder nie!
Ah, da kommt er. Ich bin Jonas zufällig und unerwartet über den Weg gesummt, als ich kurz vor Sonnenaufgang auf der hammergeilen Riesenjacht im Hafen nachsah, ob sich einer meiner Ringträger dort versteckt hält. Denn als ich nach meinem Sprung endlich zum Hausboot el Bordello zurückkehren konnte, waren alle ausgeflogen. Logo, ich verpasse sie immer, wenn’s mal wichtig ist. Jonas hatte sich mit Cira getroffen, und weil er völlig außer sich war, bemerkte er mich nicht. Seine aggressive Depristimmung verrauchte nicht und war sogar durch den Schornstein des Schlosses zu mir emporgekrochen. Dann rauschte er wie ein Wirbelwind aus dem halben Palais. Ich hatte meine liebe Müh, ihm zu folgen. Ihr wisst ja, Gegenwind und so.
Nun sitze ich manierlich auf einem Ast in einem Park, strafe die leckeren Haufen mit meiner desinteressierten Miene und warte, bis Jonas sein Telefongespräch beendet. Zum Glück ist er keine Frau, sonst wäre ich tot, bevor er aufhört. Aber verflixter Fliegendreck, ich hab’s eilig!
Ha, Jonas legt auf. Nur sieht er keinesfalls erfreuter aus als schon den ganzen Morgen. Im Gegenteil. Vielleicht ist er ein Morgenmuffel? Er macht den Anschein, als will er sein Handy auf dem Gehweg zertrümmern. Nun, ich hätte ihn lieber in guter Stimmung erwischt, doch – wie Himmel noch mal bereits erwähnt – steht die Hälfte meiner Beine – ich weiß ja nicht, wie viele ich in dem Moment haben werde – schon im Grab. Mir geht der Arsch auf Grundeis, da lege ich mich eher mit einem zahmen Vampir an. Ich hole tief Luft, starte in selbige und summe vor mich hin, bis ich auf Jonas’ linker Schulter Platz nehme.
„Ey!“ Eine riesige Hand saust auf mich zu. Ich falle wie ein trudelnder Brummkreisel, bis meine Flügel den Sturz auffangen. Nun genauso missgelaunt wie der wilde Blutsauger lasse ich mich, unerschrocken, wie ich nun mal bin, wieder auf der Schulter nieder. Diesmal die rechte. „Bist du irre, nach mir zu schlagen, du ungehobelte Fledermaus? Flügelverstauchung ist ’ne ernste Angelegenheit.“
Jonas’ Kopf ruckt zu mir herunter. Die überdimensionalen, jadefarbenen Augen funkeln mich wütend an. Er hat mich erkannt. Ich funkle ebenso wütend zurück, wir sind schließlich auf Augenhöhe.
„Was willst du, Dämon?“, zischt er.
„Oh, nichts weiter. Ich genieße die Sonne auf einem stinkenden Kothaufen eines parasitendurchzogenen Katers, suche nach Puck, der Stubenfliege, zwecks eines analen Stelldicheins, frage mich nebenbei, ob du etwa was Bestimmtes suchst …“
Ein gewaltiger Finger fuchtelt vor meinem Gesicht herum und droht mir. „Wenn du doch etwas weißt, dann rede endlich!“
„Zuerst einmal solltest du dich beruhigen. Die Tattergreise da auf der Bank starren dir bereits auf deine Beißerchen.“ Plötzlich sitze ich im Dunkeln. Nanu, Sonnenfinsternis? Ein jadegrünes Licht dringt durch einen Schlitz zwischen seinen Fingern hindurch in mein Gefängnis seiner hohlen Faust. Ich seufze, schon wieder. „Also, so werden wir nie Freunde.“
„Ich habe genug Freunde.“
Es schüttelt mich ohne Vorwarnung durch, als säße ich in einer Schneekugel gefangen. „Hey, mir wird schlecht!“ Als er die Hand öffnet, sind wir an einem schattigen Plätzchen, das er für uns gesucht hat. Wie nett! Er hebt mich vor sein Gesicht. Wie fein und wohlgebräunt seine Haut doch ist, so wunderschön geschwungen die Lippen. Alles ein wenig titanisch momentan aus meinem Blickwinkel, aber … Jonas wartet. Ich tippe seinen Handballen mit meinem Leckrüssel an, um meiner Aussage den nötigen Wert zu verleihen. „Du bist mir einen Gefallen schuldig, Jonas Baker.“ Nachnamen wirken immer sehr
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