Schicksal des Blutes
Furcht durchzog seine Nerven. Keiner kannte das weise Tribunal oder den Ältesten, die alle Wesen richteten. Nur Gerüchte über deren Existenz meh r ten sich zurzeit wie die Tuberkulosekranken unter den Homo sapiens.
Timothy erlebte, wie sein Vater dazu verurteilt wurde, niemandem jemals wieder sein Blut geben zu dürfen, was Zeemore erst Jahrhunderte später zum Verhängnis werden würde, weil er seine Zukünftige Elena-Joyce nicht nähren durfte.
Nachdem die neun verschieden klingenden Melodien Zeemore durchdrungen hatten und nicht mehr spürbar waren, erschien wie auch ihm im Jahre 2011 eine verhüllte Gestalt, die kaum wahrnehmbar leuchtete, aber ebenso ein Hirngespinst sein könnte. Der Älteste. Das magischste Wesen auf Erden, das Gedanken lesen, Herzen durchdringen und jeden Fluch sprechen und vollziehen konnte. Timothy fühlte wie sein Vater damals den Respekt und die Angst vor dem Richter, den niemand beschreiben oder sich an den Urteilsspruch erinnern konnte. Vielleicht würde auch er vergessen, was Zeemore jetzt erlebte, wenn er aus dessen Gedanken emportauchte.
Die schwarz wabernde Klauenhand ergriff Zeemores Arm, nahm und gab einen Blutstropfen. Der Älteste sprach mit markerzitternder Kraft. „Trotz deiner Verurteilung hast du eine reine Seele, Zeemore Ledoux. Endlich begegnen wir uns. Ich wartete lange Zeit auf jemanden wie dich. Du bist bestimmt, etwas für mich zu tun. Ich schenke dir mit meinem Blut die seltene Gabe des Blauen Bl u tes . Ab nun wirst du ein Krýos sein. Die blaue Aura schützt dich vor allem Unheil und allen tätl i chen und geistigen Übergriffen, damit du deine Aufgabe erfüllen kannst, die ich dir jetzt mental übe r mitteln werde. Achtzig Jahre nach der Wandlung des Vollblutvampirs namens Nilané Bavarro wirst du ihm Folgendes mitteilen. Höre! …“
Zeemores Bewusstsein verblasste wie die Erinnerung. Timothy klammerte sich ve r zweifelt an die Gedanken seines Vaters, doch dieser wurde wie alle Verurteilten mit einer Ohnmacht aus den geheimen Gefilden des Rates entlassen. Er lag auf dem Bauch, den Teppich unter sich, spürte das starke Schaukeln der Jacht. Fires energisches Bellen holte ihn vollends ins Jetzt zurück. Amy sprang auf, als sie Jonas’ Ruf hörte.
„Ein Gewitter zieht auf. Amy, Timothy, Lilith, wir brauchen eure Meinungen!“
~ ~
„Gut“, fasste Amy zusammen, „Ny’lane steht also mit dem Rat in Verbindung, weil er mit euch über die Sternträger reden kann.“
Ny’lane verschränkte die Arme vor der Brust, sagte aber nichts. Er fühlte sich u n wohl in seiner Haut. Das Gesagte klang logisch, dennoch gab es niemanden, der wen i ger zum weisen Rat passte als er. Kaum jemand hatte gesetzeswidriger gelebt als er, weil keine Strafe bei ihm gewirkt hatte.
„Außerdem übergab der Älteste eine Aufgabe an Timothys Vater, die leider durch Zeemores Suizid nicht mehr an Nyl weitergegeben wurde. Um das Überbringen der Nachricht sicherzustellen, schützte das Blaue Blut Zeemore gegen Angriffe, doch nicht gegen den eigenen Wunsch zu sterben.“ Amy legte Timothy die Hand auf den Arm, was Nyl beinahe ein Knurren entlockt hätte. „Wie geht’s nun weiter?“
Amys Stimme zitterte bei den letzten Worten und Nyl ballte verzweifelt die Fäuste in den Manteltaschen. Er konnte ihr das FBI, die Presse und ihren brutalen Vater vom Leib halten, aber was um Himmels willen lag in seiner Macht, ihr Leben vor dem U n ausweichlichen zu bewahren? Er vernahm als Einziger die Gedankenmuster des U n geborenen in Amys Bauch. Er wollte es aus ihr heraushaben, es packen und vernic h ten, damit Amy nichts geschah. Niemand wusste, wie Engel geboren wurden. Nur ein Unterschied zwischen der Geburt eines menschlichen oder vampirischen Babys schien eindeutig, da Amy keine Anzeichen einer Schwangerschaft zeigte. Das bedeutete, alle Frauen, die der Nephilim im Traum besucht hatte, waren ahnungslos. Sie starben i n nerhalb der nächsten vierundvierzig Stunden, wie Amy. Seine Muskeln zuckten, weil er sie beschützend in den Arm nehmen wollte, aber er tat es nicht. Was die anderen von ihm dachten, war ihm egal, doch er meinte, von Amy mit Blicken und Gesten auf Abstand gehalten zu werden. Hatte er sie mit seinen Lügen verloren? Er hob den Kopf. „Ich wittere Besuch.“
„Wir benötigen jede Hilfe, die wir bekommen können“, sagte Jonas und öffnete die verriegelte Hausboottür.
Josephine, Sitara und Alexander kamen von kräftigen Windböen begleitet mit ern s ten
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