Schicksal des Blutes
einen der acht Präsenzen, deren Ehrfurcht gebietende Macht er spürte, würde er zu sehen bekommen. Der Ort des sagenumwobenen Gerichts entsprach dem bestgehüteten Geheimnis der Wesen und es war der letzte Ort, an dem er sein wollte.
Furcht kroch ihm wie heißes Fett über die Haut. Beabsichtigten sie ihn nochmals zu verurteilen, weil der richterliche Fluch niemals gewirkt hatte? Eine lieblich-luftige Stimme hatte ihn zu lebenslanger Enthaltsamkeit gegenüber den Menschen verurteilt. Damals pflegte er aufgrund seiner gefährlichen Sucht sowieso keinerlei Kontakt zu den Homo sapiens. Doch nun … Ein Vorhof der Hölle tat sich auf. Jonas sackten all seine Gefühle weg. Im ersten Moment befürchtete er, Cira zu verlieren, wenn das Urteil in Kraft trat. Ohne ihre Liebe würde er elendig zugrunde gehen. Und sie ebenso, weil ihre innige Verbindung sie für immer vereinte. Als sein Verstand durch seine ihn würgende Angst brach und ihm suggerierte, dass Cira inzwischen ein Vampir war, löste sich die Beklemmung, aber das Entsetzen blieb. Unmöglich konnte er sich von Ciras Tochter Samantha und ebenso von Amy und Greg fernhalten. So seltsam es klang, sie waren seine Familie, die er zu beschützen geschworen hatte. Dass er sie niemals wiedersah, konnte das Tribunal der Homo animal keinesfalls wollen.
Obwohl er unsichtbar im finsteren Nichts schwebte, verspürte er, wie er am ganzen Leib zitterte. Es zog ihn zu Cira, aber er vermochte nicht, sich aus eigener Kraft zurück in seinen Körper zu versetzen. Hilflos vernahm er die liebliche Stimme, die ihn auch damals vor dem Gericht willkommen geheißen hatte. Abermals überlief ihn eine Gänsehaut.
„Willkommen im Reich der Fürsten. Würden Sie uns bitte bestätigen, dass Sie Daisy Hamminglove sind?“
Jonas’ Gefühle gerieten in andersartige Aufruhr. Unverständnis und Erleichterung paarten sich zu einem mitreißenden Rausch. Sie wollten gar nicht ihn verurteilen. Nicht ihn, sondern Daisy, eine Werwölfin, die soeben die Dunkelheit unter ihm betreten hatte. Er glitt langsam wie auf einem überdimensionalen Heiligenschein stehend über ihrem Haupt im Kreis.
Gebannt von der ruhigen, weiblichen Stimme folgte er dem Verlauf des Prozesses und spürte, wie er allmählich wieder klar denken konnte. Wenn er nicht hier war, um gerichtet zu werden, warum befand er sich dann am geheimen Ort der Wesen?
Jonas vernahm acht wundersame Klänge; animalisch und gesittet, fest und flüssig, leicht und heiß, geborgen und hell und schloss sich ihnen wie selbstverständlich an. Er barg die Dunkelheit in sich. Als Nacht durchdrang er Daisys Seele, durchstreifte ihr Gewissen und ihre Erinnerungen, fühlte mit der Finsternis seiner Macht die Schwere auf ihrem Herzen und hinterließ einen Funken, der in ihr zur Reue für ihre Tat hera n wachsen würde.
Die liebreizende Frauenstimme, die er nun als die leichte Stimme der Luft erkannte, verurteilte die Werwölfin Daisy und überließ sie der Düsternis der Unendlichkeit.
Alles geschah wie in einem Traum. Losgelöst von seinem eigentlichen Ich, ohne Körper und doch bei vollem Bewusstsein, verfolgte er, wie Daisy in dem schwarzen Nichts auf die Knie fiel und sich weinend vornüberbeugte. Sie sagte kein Wort. Oder er hörte es nicht, obwohl er ihr so nahe war. Plötzlich hob sie den Kopf, als erblickte sie jemanden und streckte den Arm aus.
Ein Schauder durchlief Jonas. Glutheiß und eiskalt zugleich. Erkenntnis paarte sich mit Erschrecken, als ihm klar wurde, wer damals nach den Fürsten zu ihm gesprochen, den Schwur besiegelt hatte. Daisy stand dem legendären Ältesten gegenüber.
Jonas wandte sich nach rechts und links, was jedoch sinnlos war in einer endlosen Leere. Er schwebte weiterhin wie an einem Mobile aufgehängt im weiten Kreis über der Werwölfin. Er sah noch, wie Daisy die Hand an ihr Herz drückte und ohnmächtig zusammensackte, als er spürte, wie er den Rat verließ und in seinen Körper zurückglitt.
„Hey, Jonas, du bist dran. Drei zu zwei. Anstoß!“
Jonas atmete tief durch. Er stand im Fitnesskeller des Hotels und hatte doch tatsäc h lich fünf Partien Fußball gespielt, während er ebenso der Verurteilung beigewohnt hatte. Er fuhr dem Jungen durchs Haar. „Spielt bitte kurz allein weiter. Ich muss mal …“ Jonas klopfte sich mit einem Fingerknöchel gegen den extra ausgefahrenen Reißzahn, weil er wusste, wie faszinierend die beiden Gestaltwandlerkinder diese fa n den, und dass sie jede Art von Ablenkung und
Weitere Kostenlose Bücher