Schicksal des Blutes
versteckte. Sie war sich fast sicher, beobachtet zu werden. Vielleicht tat man es nicht immer, weil eine schl a fende Frau zu betrachten gewiss ziemlich langweilig war, doch irgendwo verstec k ten sich unsichtbare Augen, die ihr folgten.
Amy erhob sich, ging zu dem Tablett, das auf einem Barocktischchen mit drei Be i nen stand. Sie stellte einen gelassenen und hungrigen Eindruck zur Schau, obwohl die innere Unruhe, die sie seit dem Aufwachen besonders intensiv spürte, sie nervös machte. Sie aß von den Keksen, griff dann zu dem Messer, um den Bagel für den Lachs aufzuschneiden, rutschte ab und schnitt sich in den Finger. Ups!
Hilflos drückte sie ein wenig an der Hand herum, tupfte mit einer Serviette das Blut ab und zählte die Sekunden, bis irgendjemand auftauchte. Nach zwei Minuten kamen ihr Zweifel. Nach vier Minuten wallte Wut empor. Nun hatte sie schon alles vollgebl u tet und noch immer erschien keiner, um ihr zu Hilfe zu eilen. Entnervt schnappte sie sich die Tücher vom Tischchen und wirbelte herum, um ins Badezi m mer zu gehen. Sie berührte das Tablett ungünstig und Geschirr samt Gebäck schepperten auf den Ma r morboden. Amy sprang nicht einmal beiseite.
„Toll.“ Sie befand sich wirklich noch nicht auf der Höhe. Tollpatschig war sie sonst nie. Körper und Seele standen zurzeit nicht miteinander in Einklang. Sie benötigte jemanden zum Reden, aber auf Selbstgespräche, ob im Geiste oder nicht, konnte sie wahrlich verzichten. Sie würde nicht so werden wie ihre Mutter, die irgendwann nicht mehr zu irgendetwas eine Meinung äußerte, geschweige denn einen eigenen Stan d punkt vertrat.
Mit geübten Schlägen wickelte sie sich eine lange Stoffserviette um Finger und Handgelenk, hockte sich nieder und sammelte die Scherben ein. Resignation und Ärger auf ihre Situation und ihren Zustand sickerten ihr wie Beruhigungsmittel und Au f putschmittel zugleich durch die Nervenbahnen. „Tolle Idee. Hat echt super geklappt!“, muffelte sie vor sich hin, bis sie den Rest des Malheurs unter einem weiteren Tuch versteckte.
Im Bad säuberte sie den Schnitt. Als sie sich umwandte, um sich mit der letzten Se r viette zu verbinden, lehnte Cecilia plötzlich in der offenen Tür. Verbitterung stieg auf und siegte über die Schwermut. Sie wollte sich an dem Mädchen vorbeiwinden, doch dessen Blick auf ihre ins Becken blutende Wunde ließ sie zögern.
„Du hast dich verletzt.“
Ach nee! „Hm, ja. Dumm von mir.“
„Soll ich …?“
Sollte sie? Nyl war nicht herbeigeeilt. Die Enttäuschung schluckte sich schwerer, als sie erwartet hatte. Aber sie konnte nicht mit solch einer Verletzung durchs ‚Ekstase‘ laufen, das war ihr klar. Falls sie überhaupt jemals wieder diese Kunsthalle verlassen würde. Amy nickte. Cecilia trat schnell näher.
Unvermittelt schwappte Furcht in ihr hoch. „Ähm, stopp!“
Amy wusste nicht, was sie mehr überraschte. Cecilias sofortiges Innehalten oder ihre besorgte Miene. Doch nicht wegen dieses Kratzers, oder?
„Keine Sorge. Ich verschließe nur die Wunde mit dem heilenden Speichel auf meiner Zungenspitze“, flüsterte Cecilia.
Ihre Stimme klang eher müde und traurig, Amy entdeckte weder Gier noch Lust d a rin. „Okay. Klar. Bitte entschuldige.“
Cecilia kam näher und lächelte sie an. Zurückhaltend, freundlich. Aber ihre B e drücktheit versteckte sie dahinter nicht. Was hatte die junge Frau bloß? Die starken Gefühlsregungen hatten nicht ihre Verwundung ausgelöst. Was aus Cecilias Mimik sprach lag tiefer, obwohl Vampire Meister in der Unterdrückung von Emotionen w a ren. Cecilia hob Amys Arm an und leckte einmal sanft über die Wunde. Amy verzog den Mund, jedoch nur kurz, denn augenblicklich verging das Brennen. Der Schnitt verschloss sich spürbar und … sichtbar. Der absolute Hammer.
„Danke“, raunte Amy und hoffte, ihr schlechtes Gewissen gut genug zu verbergen.
Cecilia wandte sich ab und Amy fand sie gleich darauf im Schlafgemach, das restliche Scherben-Kuchen-Malheur beseitigen.
„Tut mir leid“, sagte Amy, „ich war etwas ungeduldig, weil ich raus möchte. Ich bin doch nicht eingesperrt, oder?“ Klang das zu weich?
Cecilia sah zu Amy hoch und seufzte. Viel zu theatralisch.
„Nein, nicht wirklich. Sagen wir, zu deiner Sicherheit.“
„Hm. Gefällt mir trotzdem nicht. Wo ist Ny’lane? Ist er überhaupt noch hier?“
Wieder stieß Cecilia Luft aus. Sie stand auf und nahm den Putzeimer in die Hand. „Magst du ihn?“
„Was?“ Wen?
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