Schicksal des Blutes
verändern würde, wusste sie nicht.
Nyl schloss die Lider. Seine schwarzen Wimpern bildeten einen Fächer auf seiner braunen Haut. Unnachgiebig zog er ihr Handgelenk zu sich an den Mund und drehte die Unterseite nach oben. Amys Zittern veränderte sich, als sie Ny’lanes warmen Atem auf ihrer empfindsamen Haut verspürte. In ihren Schrecken mischte sich Erregung. Er sog mit der Nase Luft ein, inhalierte ihren Duft, den Duft ihres Blutes, während seine Lippen sich leicht öffneten. Amy blinzelte. Ihre Knie wurden weich. Ungeahnte Em p findungen paarten sich zu einem nie da gewesenen Cocktail. Sehnsucht, Furcht, Erwa r tung, Lust strömten gemeinsam in wilden Strudeln durch ihre Adern. Doch als seine lauwarmen Lippen sich sanft auf ihre Handgelenksarterie legten und sich unendlich langsam wieder lösten, erhielt sie die unwahrscheinlichste aller Emotionen in ihr Herz injiziert – Zuneigung.
~ ~
Ihr Blut … sein Blut …
Vor Ny’lanes geistigem Auge schossen unzählige Erinnerungen vorüber. Eine Lei n wand umkreiste ihn mit zahllosen Bildern, umhüllte ihn, riss ihn in den Strudel seiner Vergangenheit. Ein Zittern erfasste ihn, als ergriffe er eine Hochspannungsleitung. Die feuchte Haut leitete den Strom einzig in den verwundbarsten Muskel, sein Herz. Die vampirischen Sinne schmorten durch, seine Verbrechen übergossen ihn mit höllisch heißem Pech, verbrannten ihn bei lebendigem Leibe. Seine Fingernägel gruben sich verzweifelt in die Kopfhaut. Unfähig, die Lider zu heben, um in die Realität zu entfli e hen, öffnete sich sein Herz.
Er sah Elisabeths in Tränen schwimmende Augen, das brennende Holzhaus, in dem er stand, sah seine wilde Horrormaske in den vor Furcht geweiteten Pupillen von u n zähligen Frauen widergespiegelt. Er hörte ihr Schluchzen, das hasserfüllte Gebrüll von Männern, das von ihm erstickte Wehklagen. Er fühlte den würgenden Verlust, Trauer und den Hass auf sie, auf sich.
Sein unlöschbares Gedächtnis überflutete ihn mit wirbelnden Bildern, Gefühlen und Lauten, verbannt so tief in seinem Inneren, dass er sie niemals freiließ, niemals freila s sen durfte.
Nyl brach auf die Knie und brüllte sein Leid hinaus.
~ ~
Samantha blickte in den Himmel und krauste die Nase. Düstere Wolkenberge türmten sich auf. Bei jedem Schauer dachte sie, es würde wieder losgehen, der Engel würde sie, die Stadt, die USA, die ganze Welt erneut mit seiner zerstörerischen Macht der El e mente angreifen. Doch seit der Nacht des 1. Mai hatte der gefallene Blonde mit dem weißen Kleid seine Flügel stillgehalten. Sam schnaufte abfällig. Sie wusste nicht, ob sie ihn oder die Dämonin Lilith mehr verabscheute. Was im Endeffekt egal war, denn sie war nur ein Mensch und konnte beiden nichts entgegensetzen. Was sie gleichwohl nicht daran hindern würde, ihnen das Nasenbein zu brechen oder zumindest die F e dern zu rupfen.
Sam hörte das Aufplatschen einzelner Tropfen auf dem Autodach ihres Jeeps, bis sich ein Schaufelbagger mit Getöse von hinten dem Rondell vor dem Schloss der B a kers näherte. Die Aufräumarbeiten begannen auch hier. In der City herrschte beinahe wieder normales Treiben, wenn man von der Angespanntheit der Bevölkerung absah. Der intakte Teil des Märchenschlosses sollte für Josephine und Alexander sowie seine Mutter Sitara Baker hergerichtet werden. Was von dem Nephilim und seinen teufl i schen Helfern zerstört worden war, wurde nicht erneut aufgebaut.
Sam sprang aus dem Auto, ging an der Außenfassade entlang, bis sie eine stabile Rankhilfe aus Holz entdeckte, an der sie auf einen unbeschädigten Balkon mit schmi e deeisernem Gitter emporkletterte. Von hier aus konnte sie die herrschaftliche Garte n anlage überblicken, die von einem Wald immergrüner Mammutbäume vor neugierigen Blicken geschützt wurde. Sie kniff die Lider zu einem Schlitz zusammen. Wenn sie ein Vampir wäre, hätte sie mit den alltäglichen Dingen nicht solche Probleme. Endlich erspähte sie den Grund ihres Herkommens, schwang die Ranke hinab und begab sich auf den Weg über die golfplatzähnlichen Grashügel.
Fire, Amys Siberian Husky, und Elvis, Gregs Labrador, bemerkten sie sofort. Sie nahmen aufmerksam Witterung auf, ob Freund oder Feind sich näherte, und kamen ihr wild entgegengesprungen. Zum Glück besaßen beide Hunde eine gute Erziehung, sonst hätte sie wohl den Kürzeren gezogen und eine tote Frau auf dem nassen Rasen mimen müssen.
„Hey, Greg!“, rief sie, nachdem
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