Schicksal des Blutes
zuerst auf? Sie hörte ein Husten. Keine Stimmen. Sie hatte nicht einmal Zeit, sich durch ein Loch in der Plane einen Überblick von der Umgebung zu verschaffen. Hatte sie überhaupt eine Chance, zu fliehen? Vielleicht parkten sie auf einem eingezäunten Hof.
Ein Schlüssel wurde in das Schloss geschoben, es klickte und die andere Seite der Tür, vor der sie nicht stand, öffnete sich.
Amy trat von unten gegen Hand und Pistole. Die Waffe flog in hohem Bogen gegen die Plane und krachte auf die Ladefläche. Gleichzeitig holte Amy mit dem rechten Arm aus, an dem die Handschellen hingen, und knallte dem Entführer die frei baumelnde Schelle ins Gesicht. Das wütende Brüllen wandelte sich in einen Schrei. Amy sprang vor, sah General Zahnlücke taumeln und sich die blutende Visage halten, und kam auf allen vieren auf der rotbraunen Sandstraße auf. Sie sprintete los, doch neben dem Sandweg erstreckte sich nur hüfthohes Gras. Keine Deckung.
Sie hörte den Kerl zornig brüllen, aber sie sah sich nicht um. Ihr Atem rasselte bereits, obwohl sie eine geübte Joggerin war. Sie ballte die verschwitzten Fäuste und rannte weiter. So gebückt wie möglich, dennoch wusste sie, dass sie eine auffällige Schneise ins Grün schlug.
Ein Schuss krachte. Amy ließ sich fallen. Der Kerl brüllte ihr etwas hinterher, was sie nicht verstand. Weiter! Sie kroch voran. Wäre sie unverletzt, ausgeruht, in bester Kondition und er unbewaffnet, hätte sie vielleicht eine Chance gehabt. Sie hockte sich hin und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Über ihren Einfall schockiert, begann ihr Herz zu stottern, doch sie hatte keine Wahl. Sie richtete sich kurz auf, verschaffte sich einen Überblick und ließ sich wieder fallen. In dem Moment barst ein Knall, und noch einer. Drei! Sicher hatte er ein Ersatzmagazin. Sie lief geduckt in die Richtung, in der in einiger Ferne ein Wald aufragte. Verfolgte er sie? Zumindest beobachtete er die sich bewegenden Gräser, wartete, bis er sie sah. Was jetzt geschehen würde. Ein karges Stück lag vor ihr. Wie ein Blitz jagte sie im Zickzack voran. Ein Schuss krachte. Etwas schleuderte sie nach vorn in die wieder beginnende Wiese. Ein heißes Brennen durchfuhr ihren Arm. Er hatte sie getroffen. Blut färbte ihren aufgeschlitzten Pullover am Oberarm. Zum Glück nur ein Streifschuss. Sie biss die Zähne zusammen. Es tat verdammt weh.
„Bleiben Sie stehen, Evans!“
Er kam näher! Amy drückte die Hand auf die Wunde und lief mit gebeugtem Oberkörper weiter. Nur weg! Ein langer Halm ritzte ihr wie ein Messer über die Augenpartie, weil sie keinen Arm mehr zum Schutz davorhielt, und schnitt ihr über Augenlid und Wange. Sie zischte vor Schmerz, ließ den Oberarm los und schützte ihr Gesicht vor den scharfkantigen Grashalmen.
Ein erneuter Knall ließ sie sich augenblicklich auf den Boden werfen. Furcht kroch ihr in die Glieder, wollte sie lähmen, während sie die Finger in den Matsch krallte. Der Schuss hatte noch näher geklungen. Er verfolgte sie! Es konnte nicht mehr weit bis zum Wald sein. Sie kam auf die Füße, ignorierte die Schmerzen und hastete voran.
Sie erreichte einen Palmenwald und kam nun wesentlich langsamer vorwärts, kämpfte sich durch Unterholz, Büsche, Monsterblumen und Dornensträucher. Wurzeln und Bodenlöcher ließen sie straucheln, doch hier würde sie keiner verfolgen können außer einem Spurenleser. Nach einer Weile orientierte sie sich nach rechts, änderte immer wieder die Richtung und sackte irgendwann an einem Stamm nieder.
Ihr Puls beruhigte sich nur zögerlich, wurde stets durch ihre panische Angst angeheizt, während sie sich ein Farnblatt um den Oberarm knotete, um die Blutung zu stoppen. Als sie nicht mehr das Gefühl hatte, Blut zu atmen, untersuchte sie ihre vielen kleinen Verletzungen. Am schlimmsten brannte der Schnitt im Gesicht. Ihr Auge schwoll zu. Was für eine beschissene Lage! Sie hatte weder Handy noch Uhr oder Geldbörse bei sich. Das Einzige, das ihr geblieben war, war ihr Kreuz, das an einer langen Kette um den Hals zwischen den Brüsten hing. Und ihre Wut auf General Zahnlücke. Zum Glück hatte der Kerl ihr das Andenken nicht genommen. Nicht, weil sie gläubig wäre. Nein, es diente als Erinnerung daran, dass man Symbole auch missbrauchen konnte. Wie ihre Familie es getan hatte. Sogar jetzt litten noch Lebewesen darunter. Außerdem hatte Cira ihr den Anhänger zu ihrer einjährigen Freundschaft geschenkt. Vor neun Jahren. Und sie hatte ihn gerührt
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