Schicksal des Blutes
angenommen. Amy drückte das goldene Kreuz an ihr Herz. Sie hatten sich beim Joggen kennengelernt. Damals suchte sie nach einem Studienplatz und Cira arbeitete bereits seit einem Jahr als Pilotin. Ohne ihre ruhige, besonnene und treue Freundin Cira hätte sie bestimmt weitaus mehr Flausen in die Tat umgesetzt, nachdem sie das strenge Internat fluchtartig verlassen hatte, nur, um allein dazustehen.
Amy schloss die Augen. Was nun? Sie atmete tief ein, behielt die feucht-warme Luft in den Lungen und stieß sie aus. Entschlossen rappelte sie sich auf. Solange sie noch laufen konnte und es nicht dunkel war, musste sie weiter. Sie hoffte inbrünstig, der Nächste, dem sie begegnete, möge netter auf sie zu sprechen sein. Sofern sie ihre im Flugzeug aufgefrischten Geografiekenntnisse nicht im Stich ließen, befand sie sich in der Region der Mende oder der Kono im Osten des Landes, und das hieß, den Ärmsten der Armen oder Goldschmugglern in die Arme zu laufen, wenn sie Pech hatte. Dieses schien sie offensichtlich zu verfolgen, denn weshalb sonst hatte man sie gleich am Flughafen in die Mangel genommen? Sie blieb stehen, um ihren Puls zu beruhigen. War Nyl vielleicht als Drogenbaron in Sierra Leone bekannt? Baute er hier Rauschgift an und schmuggelte es auf die Bahamas für das ‚Ekstase‘? Es fühlte sich an, als krampfte sich ihr Herz zusammen. Warum auch immer, es tat weh. Die Vermutung basierte zwar nicht auf Fakten, aber es würde zu Nyls Leben und zu seiner Verschlossenheit passen. Als Vampir besaß er die Fähigkeit, jeden zu beeinflussen und mit seinem Privatjet konnte er jederzeit so viele Drogen hinausschleusen, wie er wollte. Der Schuft schreckte mit Sicherheit nicht davor zurück, Leute auszubeuten und für einen Hungerlohn bis zur Erschöpfung arbeiten zu lassen. Amy stolperte, weil sie unkonzentriert durch den Wald stakste. Ob das nun zu dem Kerl passte, der sie vor den Reportern und dem FBI in Schutz genommen hatte oder nicht. Man konnte niemandem hinter die Stirn sehen. Vor allem einem blut- und geldsüchtigen Vampir nicht, der Gefühlsregungen unterband, und der nicht mehr genügend Sauerstoff im Hirn haben konnte, wenn er sich dermaßen brutal auspeitschen ließ. Der Empfang auf dem Flughafen Freetown fügte sich hervorragend in dieses Szenario ein. Sein Name war dem Militär oder seiner Konkurrenz bekannt, nur bisher hatten sie ihn nicht gefasst. Und sie fragte wie ein Dilettant nach Mr. Bavarro, dem hiesigen Haschisch- oder Opiumboss. Die hatten sie für einen Kurier gehalten.
Amy blieb außer Atem stehen und rieb sich die müden, tränenden Augen. Sie stutzte und reckte das Kinn. Ein eiskalter Schauder überlief ihren Rücken. Qualm! Sie roch Feuer. Ein großes. Brandrodung! Sie sah sich hektisch um, prüfte den Windzug. Sie sah den Brand nicht, aber sie wusste, die falsche Richtung würde ihren Tod bedeuten. Und wenn der Wind drehte, das Feuer sie einschloss …? Abermals hielt sie ihren feuchten, zitternden Finger in die Luft, schnüffelte und begann erneut, um ihr Leben zu rennen.
~ ~
Jonas lehnte im Schatten einer Mauer und hielt Cira im Arm. Sein Blick richtete sich auf den grauen Gebäudekomplex und die Glasscheiben des Eingangsportals. Sie warteten auf Samantha und Timothy, die ins Heim gegangen waren. In den vergangenen Tagen waren sie etlichen Spuren gefolgt und alle hatten in Sackgassen geführt.
Weder Amy noch Nyl hatten sich gemeldet noch hatten sie die Hexe mit dem Sternring oder den alten Seidenteppich von Diandro gefunden, der vermutlich einige Fragen beantworten könnte. Er verfluchte sich, nicht viel früher auf den Trichter gekommen zu sein. Spätestens, als ihm die Verbindung zwischen dem Ölgemälde und der Legende der Sternträger klar geworden war, hätte die Erinnerung an Timothys und Ny’lanes Gedankenteppich aufleuchten müssen wie ein Warnlicht. Die Speditionsfirma hatte den Teppich allerdings nicht abgeholt. Das Vermächtnis seines Vaters hatte sich auf unerklärliche Weise in Luft aufgelöst, was einen tiefen Schmerz in Jonas verursachte.
Zumindest hatten sie mithilfe von Freunden geschafft, die Zeitungen bei den größten Verkaufsstellen aufzukaufen, damit nicht noch mehr in Umlauf gerieten. Aber der Internetbericht verbreitete sich schneller, als es möglich war, die Seiten zu löschen, obwohl sie die versierten und treuen Gargoyles Gentarras und Elassarius einsetzten und auch sein Bruder Alexander und Josephine mit vollem Einsatz mithalfen. Ebenso
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