Schicksal des Blutes
Beschreibung eines durch die Fürsten verurteilten Mörders und Jonas’ ebenso dürftigen Empfindungen immer höher zur schroffen Felsformation hinauf. Die Landeverhältnisse auf dem Mount Whitney glichen inzwischen einem Tanz auf einer Kirchturmspitze.
Seit dem erschreckenden Telefonat mit Ny’lane haderte Cira mit sich, und als sie sich bewusst wurde, dass Jonas ihre wankenden Gefühle bereits wahrgenommen hatte, überlegte sie ernsthaft, ihm von dem Zwischenfall zu erzählen. „Mit Ny’lane geht etwas vor. Er macht mir Angst.“
Jonas seufzte schwer und nickte betrübt. „Ich kenne die unendliche Dunkelheit, die einen als Tribor umgibt“, sagte er leise ins Mikrofon seines Headsets. „Ich hätte mich mehr um ihn kümmern müssen. Die Finsternis scheint ihn nun vollends zu besitzen.“
„Du meinst, er hat seine Beherrschung verloren?“ Jonas hatte ihr den zerstörerischen Kreislauf der Tribore beschrieben. Zu viel vom Blut des anderen Geschlechts aufgenommen, machte es süchtig und verdoppelte die Kraft. Der explosive Cocktail aus Suche, Sucht und Stärke verwandelte die sonst im Verborgenen lebenden Vampire in kampflüsterne und barbarische Blutsauger, deren Amokläufe unzählige Menschen und schließlich auch ihnen das Leben kostete.
„Ich hoffe, noch nicht. Aber er lässt mich nicht mehr an sich heran. Dabei weiß er, ich würde ihn niemals verurteilen. Mann! Ich wurde direkt nach meiner Wandlung mit zwanzig zum Tribor, weil ich es wollte, weil ich machthungrig und selbstherrlich war. Hundert Jahre lang trotzköpfig weiblichem Blut verfallen und danach hundert Jahre lang genesen, aber in düsterer Einsamkeit ausharrend. Verdammt, warum vertraut Nyl mir nicht? Ich verstehe ihn doch!“
Nun war sich Cira sicher, sie musste ihm von Nyls Ausrutscher erzählen. Doch Vorsicht war geboten. Jonas würde ausrasten, obwohl nichts passiert war. Sie wollte keinen Bruch der Freundschaft bewirken, dennoch musste Jonas es wissen, damit er Ny’lanes brisante Situation begreifen konnte. Hoffentlich kam die Hilfe nicht zu spät. „Woher weißt du, dass Nyl auch einen Gedankenteppich hat?“
Jonas erinnerte sie an die Nacht, in der er sie auf der ‚Silver Angel‘ allein gelassen hatte, um auf die Suche nach ihrem Baby zu gehen. Er erzählte ihr, Nyl und er hätten sich, nachdem sie sauer das Büro verlassen hatte, zuerst gestritten und dann besoffen.
„Ich erinnere mich“, sagte Cira und konnte das Kribbeln in ihrem Körper nicht verhindern, das die Gedanken an ihren hemmungslosen Sex auf dem Boden auslöste.
Jonas berührte ihre Hand. „Ich war wohl ziemlich breit.“
Cira nickte lächelnd, sandte ihm aber ihre glücklichen und zufriedenen Emotionen. Er hatte sich trotz Vollrausch im Rahmen der ihr gefallenden Derbheit und Spiele bewegt.
Jonas küsste ihre Handfläche. „Nyl war damals schon völlig neben der Spur. Ich hätte es sehen müssen.“
„Er verbirgt es gut. Erzähl endlich, was mit dem Teppich war.“
„Ich verschüttete Whiskey auf Nyls Seidenteppich und rieb darüber. Es war wie ein Flashback. Ich sah regenbogenfarbenen Staub und eine weiße Hand, die eine stachelige Frucht hielt. Ein unheimlich intensives Gefühl überrollte mich, während ich mich in einem bunten Wunderland wähnte. Nyl nuschelte, bevor das Koma des Alkohols ihn einholte, es sei sein Teppich, seine Gedanken, die nur er erblicken könnte.“
„Aber du hast auch etwas gesehen?“
„Ja.“
„Seltsam. Sam hat das Hineintauchen in Zeemores Erinnerungen bei Timothys Seidenteppich ebenfalls versucht, doch sie sah oder spürte nichts.“
Jonas lachte kurz auf. „Typisch Sam. Muss alles ausprobieren.“
„Du meinst also, Nyl verschweigt dir etwas, das mit dir zusammenhängt?“
Jonas nickte. „Sonst hätte er den Teppich erwähnt.“ Seine Gefühle fuhren Achterbahn, Trauer und Wut mischten sich mit Hoffnungslosigkeit und Kampfeswille.
Cira gab sich einen Ruck. „Als du durchs Meer zu uns auf die ‚Silver Angel‘ schwammst, da sagten wir, ich hätte Ny’lane beim Trinken mit einer fremden Frau erwischt.“ Jonas’ Kopf schoss hoch. Seine jadefarbenen Iris verdüsterten sich, wildes Feuer brodelte in ihnen. „Wir haben gelogen.“ Jonas ballte die Fäuste. Cira vernahm das Knacken seiner Gelenke. Sie begann stockend zu erzählen, was sie in der Nacht geweckt hatte und wie sie mit ihrer Glock durch den Schiffsrumpf geschlichen war. „Ny’lane ließ sich von einem Vermummten auspeitschen. Es war schrecklich.
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