Schicksal in seiner Hand
Als ihn der Sensenmann erstaunt und fragend ansah, sprang er auf sein Roß und jagte davon … nach Samarkand …«
Bergmann holte tief Luft und starrte eine Weile schweigend aus dem Fenster. Erleichtert fühlte er, wie die Schmerzen nachließen. Noch wirkten also diese Pillen. Wie lange noch?
»Ja, Johann, nach Samarkand«, fuhr er schließlich fort. »Und wer, glauben Sie, empfing ihn dort? – Der Tod! Erschrocken sagte der Kaufmann: ›Ich dachte, du hast in jener anderen Stadt auf mich gewartet, und nun treffe ich dich hier.‹ Aber der Tod erwiderte nur gelassen: ›In Samarkand mußte ich dich abholen. Deshalb war ich ja so erstaunt, dir woanders zu begegnen!‹«
Johann grauste es. Zwanzig Jahre war er nun schon bei Professor Bergmann in Dienst, aber so hatte er den Chef noch nie erlebt. Was war geschehen? Die arme Frau Professor! Wie gut, daß er wenigstens noch schnell anrufen und sie verständigen konnte.
»Vielleicht fahren auch wir nach Samarkand … heute nacht … Vielleicht erwartet mich dort …«
Robert Bergmann brach ab. Mit einem Seufzer ließ er sich in die Polster fallen. Er sackte zusammen …
Dr. Thomas Bruckner schlenderte langsam zu seinem Wagen. Mehrmals blickte er sich um. Schließlich blieb er stehen und starrte kopfschüttelnd zurück.
Warum hatte er bloß – einer plötzlichen Eingebung folgend – so fluchtartig das Lokal verlassen? Gewiß, er war wütend gewesen über diesen Telefonanruf, wütend und eifersüchtig. Mit welcher Selbstverständlichkeit sie gegangen war …
Er war ernüchtert gewesen. Was wußte er eigentlich von ihr? Nichts – außer, daß sie bildhübsch war, von berückender Eleganz, charmant und anscheinend vermögend. Sie war allein ins ›Troika‹ gekommen und da offensichtlich bekannt. Wie hatte sie doch gleich den Mixer genannt? Ach ja, John.
In diesem Augenblick erwachte ein Verdacht in ihm …
Bruckner wandte sich um. Er wollte zurückfahren, da vernahm er das rhythmische Klappern von hochhackigen Absätzen auf dem Pflaster. Es kam näher, immer näher … Jetzt war es unmittelbar neben ihm.
Er stoppte den Wagen.
Eine Hand legte sich zaghaft auf seinen Arm. Sie war schön geformt, diese Hand, schmal und sehr gepflegt. Am Ringfinger funkelte ein auffallend großer Brillant. Bruckner nahm all das im Bruchteil einer Sekunde wahr.
Er schaute sie an. Sie lächelte ihn an, ihre nilgrünen Augen waren fragend, betörend, aber auch rätselhaft auf ihn gerichtet. So muß Cleopatra den Antonius angesehen haben, durchfuhr es ihn plötzlich.
»Ich muß mich bereits ein zweites Mal bei Ihnen entschuldigen«, sagte sie und versuchte, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. »Es hat doch etwas länger gedauert. Der Chauffeur kann mich nicht abholen. Der Wagen wird dringend gebraucht.«
Neben ihnen hielt ein Taxi.
Sie ging darauf zu.
Bruckners Gedanken überschlugen sich. Er war ohne Abschied davongestürzt und sie – stellte keine Fragen, machte ihm keinen Vorwurf, war nicht enttäuscht, sie – entschuldigte sich sogar noch für ihre Verspätung. Mein Gott! Was war er doch für ein Idiot!
Bruckner riß den Wagenschlag auf. »Die Dame braucht das Taxi nicht mehr!« rief er dem verdutzten Fahrer entgegen. Dann suchte er nach einem Geldschein, hielt ihn dem Mann hin und schlug die Tür zu.
»Das wäre erledigt! Kommen Sie!«
Er faßte seine überraschte Begleiterin derart stürmisch am Arm, daß das Nerzcape von ihren Schultern glitt. Geschickt fing er es auf.
Galant half er ihr beim Einsteigen. Mit einem leisen Seufzer lehnte sie sich zurück und streckte die Füße aus.
»Ich mache nur schnell das Verdeck zu. Es wird sonst zu kühl für Sie.«
»Bitte, nein«, wehrte sie ab. »Ich fahre gern bei offenem Verdeck.«
Er startete.
Schweigend saßen sie nebeneinander.
Sie blickte ihn von der Seite an. Ein Lächeln glitt über ihre Züge. Gut sah er aus: ein markantes Profil, die hohe Stirn mit dem dunklen, leicht gewellten Haar, an den Schläfen ein paar vereinzelte Silberfäden, das energische Kinn … Was hatte er doch gleich für eine Augenfarbe? Ob er wohl verhei… Nein! Nicht daran denken …
Thomas Bruckner fuhr kreuz und quer durch die Innenstadt. Er merkte es nicht. Zuviel war an diesem Tag auf ihn eingestürmt.
»Jetzt rechts abbiegen!«
»Warum?« fragte er aus seinen Gedanken heraus, und dann: »Wohin fahren wir eigentlich?«
»In den Wald.«
Der Wagen geriet etwas ins Schleudern, aber Bruckner konnte ihn
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