Schicksal in seiner Hand
über ihr Gesicht huschte.
»Ja. Ich habe geglaubt, Sie würden vielleicht einsam sein … in dieser unfreundlichen Atmosphäre hier … am ersten Abend und … traurig.«
Ganz langsam begann Thomas Bruckner zu begreifen. Er sah die junge Ärztin plötzlich mit anderen Augen. Welches Einfühlungsvermögen, welche frauliche Wärme verbargen sich hinter diesen herben Zügen!
Doch – was er für Anteilnahme und Kollegialität hielt, war mehr.
»Entschuldigen Sie bitte, ich wollte nur fragen, wie es Ihnen geht und … und ob sie vielleicht irgend etwas brauchen. Gute Nacht!«
Ehe Dr. Bruckner antworten konnte, war sie schon gegangen. Er stürzte zur Tür, riß sie auf und rief ihr nach:
»Danke schön, Frau Kollegin! Auch für Ihren Besuch! Ich habe mich sehr gefreut.«
Ilse Kurz drehte sich noch einmal um. Auf ihrem Gesicht lag ein kleines trauriges Lächeln.
11
Yvonne Bergmann wollte es nicht wahrhaben. Sie wollte es verdrängen, im Keim ersticken. Sie war doch keine Abenteuerin! Hierher gehörte sie, in dieses Haus, das ihr zur Heimat geworden war.
Warum nur nahm sich Robert niemals Zeit für sie? Die Klinik! Ja, sie wußte, bei einem Arzt hatte der Beruf immer vorzugehen. Aber schließlich war sie doch seine Frau und – im Vergleich zu ihm – noch so jung, voller Sehnsüchte und Wünsche.
Plötzlich hatte sie das Gefühl, ersticken zu müssen in ihren vier Wänden. Sie wollte hinaus aus diesem goldenen Käfig, frei sein, lustig, unbeschwert. Das Leben war so kurz, ein Flügelschlag der Zeit. Leben – leben!
Sie eilte zum Kleiderschrank. Ohne lange zu überlegen, wählte sie ein schlichtes Abendkleid aus nilgrünem Chiffon. Sie nahm den schwarzen Samtumhang mit Hermelinbesatz vom Bügel und warf ihn aufs Bett. Im Nu hatte sie alles zusammen.
Kurze Zeit später verließ Yvonne Bergmann die Villa. Niemand bemerkte ihr Gehen. Sie hatte dem Personal vorsorglich freigegeben.
Das Taxi stand wartend bereit.
»Zum ›Troika‹!«
Erschrocken lauschte Yvonne dem Klang ihrer eigenen Stimme. Hatte sie wirklich ›Troika‹ gesagt? Was wollte sie eigentlich dort? Ihn wiedersehen …
»Dr. Thomas Bruckner«, flüsterte sie mit seligem Lächeln …
Professor Bergmann richtete sich auf. Die paar Stunden Ruhe hatten ihm gutgetan. Er fühlte sich jetzt wieder wohler – gewappnet für die strapaziöse Heimreise und auch für das Wiedersehen mit Yvonne.
Er hatte lange über alles nachgedacht. Jetzt sah er – trotz dieser verhängnisvollen Diagnose – wieder relativ ruhig und gefaßt in die Zukunft. Noch hatte er eine Chance. Er wollte sie nützen.
Eines aber stand für ihn fest: Yvonne, seine geliebte Frau, sollte niemals erfahren, daß er ein Todeskandidat war. Vielleicht hatte das Schicksal ein Einsehen … Jedenfalls sollte sie von all dem Furchtbaren, das ihm nun bevorstand, verschont bleiben. Zwar wußte er noch nicht, wie das möglich war, aber er wollte es zumindest versuchen. Er würde ihr vielleicht eine Auslandsreise vorschlagen und versprechen, nachzukommen …
Robert Bergmann griff entschlossen zum Telefon. »Hier Rezeption! Sie wünschen, bitte?«
»Ich möchte in einer halben Stunde abreisen. Machen Sie bitte die Rechnung fertig. Zimmer 43. – Ja, Professor Bergmann. Und verständigen Sie meinen Chauffeur.«
So, das wäre erledigt! Er legte den Hörer auf die Gabel und griff erneut zu den Tabletten. Nur noch kurze Zeit – bald würden sie sowieso nicht mehr wirken.
Es klopfte.
Auf das ›Herein‹ hin erschien Johann. Allem Anschein nach war er bereits reisefertig. Er stellte einen kleinen Koffer neben die Tür und blieb dann abwartend stehen.
»Gut, daß Sie schon da sind, Johann«, sagte der ›alte Löwe‹ jovial. »Packen Sie meinen Kram zusammen. Wir fahren heute noch zurück.«
»Bitte sehr, Herr Professor!«
Johann machte sich ans Werk. Seine Miene wirkte nicht eben erheiternd. Er konnte es dem Chef nicht so schnell verzeihen, daß er während seines kurzen München-Aufenthalts nur Taxen benutzt hatte. Das ging gegen seine Berufsehre!
»Übrigens, besorgen Sie noch schnell einen großen Strauß Rosen.«
»Einen – was?«
»Einen schönen Strauß dunkelroter Rosen. So … so … fünfundzwanzig Stück etwa. Ja? Aber fix, sonst ist es zu spät!«
»Sonst ist es zu spät«, echote Johann. Er ließ alles liegen und ging zur Tür. »Fünfundzwanzig dunkelrote Rosen«, murmelte er vor sich hin, »sonst ist es zu spät!«
Unwillkürlich mußte Bergmann lachen.
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