Schicksal in seiner Hand
dürfen. Schwester Euphrosine hat mir berichtet, daß Sie völlig andere Behandlungsmethoden anwenden, als wir sie seit eh und je ausüben. Sie …«, er zeigte nachdrücklich auf Dr. Bruckner, »haben sich nach uns zu richten und nicht umgekehrt.«
»Ich habe keine Neuerungen eingeführt, sondern nur alte Prinzipien richtig angewendet«, verteidigte sich Thomas Bruckner. »Schließlich bin ich hier als Arzt eingesetzt und nicht als Krankenpfleger, der den Anordnungen einer Schwester zu ge horchen hat.«
»Die Anordnungen der Schwester kommen von mir! Merken Sie sich das gefälligst! Ich wünsche, daß diese Anordnungen genauestens befolgt werden. Haben Sie mich verstanden? Ihr Onkel kann Ihnen zwar zu einer Stelle verhelfen, aber in medizinische Dinge kann er uns glücklicherweise nicht hineinreden.«
Dr. Wagner holte erschöpft Atem und schaute dann lauernd sein Gegenüber an. Hatte er diesen verhaßten Eindringling endlich an einer empfindlichen Stelle getroffen?
»Ich darf Ihnen jetzt auch einmal etwas sagen, Herr Oberarzt«, erwiderte Dr. Bruckner, ohne auf die Gehässigkeiten Wagners einzugehen. »Schließlich leben wir ja in einer Demokratie, wo bekanntlich das Recht der freien Meinungsäußerung garantiert ist.«
Dr. Wagner war völlig konsterniert. Er sprang auf, stützte beide Arme auf den Schreibtisch und blickte seinen Kollegen herausfordernd an. In seinen listigen Augen funkelte Haß. Wie konnte es dieser Assistent wagen, eine eigene Meinung zu haben – noch dazu eine Meinung, die sich von seiner unterschied?
»Ich möchte doch einige Neuerungen vorschlagen«, sagte Dr. Bruckner mit ruhiger, fester Stimme. Er ließ sich von der ablehnenden, ja beinahe drohenden Haltung seines Vorgesetzten nicht beeindrucken. »Die Unterbringung der wartenden Kranken ist menschenunwürdig. Ich sehe ein, daß es an Raum mangelt. Aber muß der Korridor einer Poliklinik wirklich aussehen wie ein unaufgeräumter Wartesaal?«
»Herr …«
»Bitte, vergessen Sie nicht, Herr Oberarzt«, fuhr Bruckner unbeirrt fort, »daß es sich um leidende Menschen handelt, die vor der Türe stehen. Wir Ärzte sollten manchmal auch ein wenig an die Seele denken. Das Messer allein kann niemals heilen.«
Dr. Wagner hatte sich inzwischen von seiner Bestürzung erholt. Er schnappte mühsam nach Luft. Auf seinem Gesicht erschienen hektische rote Flecken.
»Nun hören Sie mir mal gut zu, junger Mann! Ich fürchte, Ihr verehrter Herr Onkel hat Sie in die falsche Klinik gesteckt. Wir sind keine Psychiatrie. Aber – vielleicht wenden Sie sich einmal vertrauensvoll an diese Leute. Sie werden sicherlich erfreut sein, Ihre geschätzte Bekanntschaft zu machen.« Er brach in meckerndes Gelächter aus.
Ein Geräusch an der Tür ließ ihn aufblicken. Schwester Euphrosine betrat mit trotziger Miene den Behandlungsraum.
Als sie den Oberarzt sah, wollte sie sich zurückziehen.
»Bitte, kommen Sie nur herein«, sagte Dr. Wagner und machte eine einladende Handbewegung. »Sie stören keineswegs. Ich weise Herrn Bruckner nur auf seine Pflichten hin. Außerdem wollte ich ihm eben noch ein paar Flausen austreiben. Meinen Sie nicht auch, liebe Schwester, daß wir das Spinnen den Kollegen überlassen sollten, die dafür bezahlt werden?«
Euphrosine kam langsam näher. Man sah ihr an, daß sie mit dem Gang der Dinge äußerst zufrieden war. Freundlich nickte sie dem Oberarzt zu, Dr. Bruckner dabei geflissentlich übersehend.
»Bestimmt! Sie haben völlig …«
Das Telefon schrillte. Bruckner nahm ab und meldete sich. Dann reichte er Dr. Wagner den Hörer.
»Sie werden gewünscht, Herr Oberarzt.«
»Was zum Teufel ist denn schon wieder los? Man kann nirgends hingehen, ohne daß sofort hinter einem her telefoniert wird!«
»Es ist die Gattin des Chefs.«
»Das ist allerdings etwas anderes.«
Theo Wagner riß den Hörer an sich. Auf seinen Gesicht erschien – wie auf Befehl – ein öliges Lächeln. Er krümmte automatisch den Rücken und schaltete ganz auf unterwürfige Ergebenheit.
»Bitte sehr, Frau Professor. Hier spricht Oberarzt Wagner. Was kann ich für Sie tun?«
Dr. Bruckner wandte sich ab.
Es dauerte eine Weile, dann verneigte sich Dr. Wagner noch etwas tiefer, lauschte angespannt und sagte schließlich:
»Jawohl, Herr Professor. In Ordnung! Sie können sich ganz auf mich verlassen. Selbstverständlich. Und … wenn ich mir erlauben darf, ich wünsche auch recht gute Erholung.«
Mit einem triumphierenden Blick legte der
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