Schicksal in seiner Hand
sollte sein Geheimnis bleiben.
»Genau richtig!« erwiderte er unverbindlich. »Sie haben wirklich einen ausgezeichneten Geschmack, Herr Kollege.«
Rademacher murmelte etwas Unverständliches und gab sich rnit dieser Antwort zufrieden. Instinktiv fühlte er, daß Bruckner über dieses Thema nicht sprechen wollte. Vielleicht war ihm im ›Troika‹ sein Schicksal begegnet?
Wer konnte das schon wissen?
Neben dem Kasinoeingang hing das Schwarze Brett mit den Dienstplänen. Interessiert musterten beide die Eintragungen.
»Na, prost Mahlzeit!« Dr. Rademacher blickte bedauernd auf seinen Kollegen. »Man hat Sie ja wirklich gut eingedeckt. Drei Tage hintereinander Klinikdienst. Da, schauen Sie!« Seine Finger glitten schnell über die Zeilen. »Morgen ist hier ein aufsehenerregendes Dreiergespann eingesetzt. Bruckner, Kurz und Rademacher. Na, das kann ja lustig werden!«
»Natürlich kenne ich ihn! Natürlich kenne ich ihn!«
Immer wieder sprach Yvonne Bergmann diesen Satz halblaut vor sich hin. Vor ihrem geistigen Auge stand ein junger Mann und streckte die Arme nach ihr aus. Er hatte dunkles Haar, dunkle Augen, ein offenes sympathisches Gesicht …
»Thomas, Thomas, warum mußte alles so kommen?«
Aber ihre Erschütterung währte nur kurz. Yvonne war aus hartem Holz geschnitzt – so schutzbedürftig und zerbrechlich sie auch wirkte. Sie kannte ihren Weg, ihre Aufgabe, ihre Pflicht und … sie wollte nicht wortbrüchig werden. So etwas widerstrebte ihr, war einfach gegen ihre gerade und anständige Natur.
Minuten später betrat sie das Zimmer ihres Mannes. Der Professor war bereits aufgestanden. Er wirkte furchtbar erschöpft und elend. Mühsam hielt er sich an der Bettkante fest.
»Ist dir nicht gut?« Sie legte beide Arme um ihn, als wollte sie ihn stützen.
»Guten Morgen, mein Herz.« Das Sprechen fiel ihm offensichtlich schwer. »Ich habe Magenbeschwerden. Du weißt ja, auf meiner Reise … ein wenig Fasten wird mir sicherlich guttun.«
»Vielleicht ist es besser, wenn wir unsere Reise verschieben«, schlug Yvonne zaghaft vor.
»Nein!« schrie er unbeherrscht und sank im selben Moment mit einem Schmerzenslaut zurück.
»Robert, du darfst dich nicht übernehmen. Ruhe dich erst ein paar Tage aus und werde wieder richtig gesund.«
Sie hatte sich vor ihm niedergekniet und seine Hände ergriffen. »Bitte, höre auf mich! Für alle Fälle werde ich jetzt deinen Oberarzt verständigen.«
Er fuhr ihr liebkosend übers Haar. Wie gut sie war, wie besorgt und verständnisvoll! Er wollte diese wunderbare Frau belohnen und nicht – enttäuschen.
»Laß das, Yvonne, bitte«, sagte Bergmann leise, fast demütig.
»Ich bin selber Arzt genug, um meinen Zustand richtig zu beurteilen. Bald ist alles vorbei.«
»Alles vorbei?« drängte Yvonne mit flehender Stimme.
»Ich meine, diese blöde Magengeschichte«, erwiderte er schnell.
Hatte er sich verraten? Ihre Augen blickten ängstlich und forschend. Ahnte seine Frau, daß ein Damoklesschwert über ihrem Glück hing und jede Sekunde mit tödlicher Wucht niedersausen konnte?
Yvonne war aufgestanden und zum Fenster gegangen.
Der Himmel hatte sich verfinstert. Ein Sturm zog auf. Die welken Blätter fielen ab, vollführten einen gespenstischen Reigen und wirbelten schließlich knisternd über den Rasen. Die ersten Tropfen fielen.
Sie schloß die beiden Fensterflügel, zog die Vorhänge zu, holte einen Leuchter und entzündete eine Kerze. Langsam näherte sie sich wieder dem Krankenlager.
Robert Bergmann lag jetzt ausgestreckt, mit geschlossenen Augen da. Die Pyjamajacke hatte sich etwas geöffnet. Entsetzt stellte Yvonne fest, wie abgemagert ihr Mann war, wie stark die Rippenbögen hervortraten. Ein grenzenloses Mitleid stieg in ihr hoch, erfüllte sie ganz und löschte alle anderen Empfindungen aus.
Sie stellte die Kerze auf den Nachttisch, setzte sich zu Robert und barg den Kopf mit einem Schluchzen an seiner eingefallenen Brust. Tränen liefen über ihre Wangen und befeuchteten seine Haut. Erschüttert wurde ihm die Nähe der geliebten Frau bewußt.
»Nicht weinen, Liebling«, preßte er mühsam hervor, während eine neue Schmerzwelle seinen abgezehrten Körper durchfuhr. »Es wird alles … wieder gut, und wir beide werden wieder … lachen und … glücklich sein … unendlich glücklich, Yvonne.« Voller Zärtlichkeit zog er sie fester an sich.
Nach einer Weile richtete sich Yvonne auf. Ihr Gesicht sah ernst aus, aber ihre Augen versuchten zu
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