Schicksal!
festzustellen, dass sie mich liebt. Dumm daran ist nur, dass ich weiß, dass eine Gedächtnislöschung unwiderruflich ist. Sie wird sich niemals an mich erinnern. Und das bedeutet, dass es an diesem Punkt mehr als unwahrscheinlich ist, dass sie mich jemals wieder lieben wird.
Während die Tränen weiterhin das Pfefferspray aus meinen Augen waschen, stehe ich auf und wandere durch die Kathedrale, sehe mir die Stationen des Kreuzweges an, bis ich vor der Pieta stehe. Ich gehe nicht oft in Kirchen. Wenn man sich für gewöhnlich regelmäßig mit Gott getroffen und er einen auf der Kurzwahltaste gespeichert hat, dann hat man schnell genug von ihm. Aber es ist irgendwie gruselig, Josh so zu sehen – tot in Marias Schoß. Ein eingefrorener Moment, den ich miterlebt habe.
Er war nicht annähernd so schön, wie ihn die meisten Künstler darstellen, und niemand hat je seinen Gesichtsausdruck richtig hinbekommen (Josh neigte dazu, diesen amüsierten Ausdruck zu haben, selbst als er Todesqualen litt). Trotzdem: Den Heiland durch meine vom Pfefferspray verursachten Tränen zu betrachten lässt mich die Selbstsüchtigkeit meiner romantischen Bemühungen erkennen.
Selbst wenn ich Sara dazu bekommen könnte, sich an mich zu erinnern oder sich in mich zu verlieben, würde ich ihre Bestimmung stören. Sie soll die Mutter des kommenden Heilands sein. Die Madonna des neuen Jahrtausends. Und ich würde im Weg stehen. Nicht gerade der Ruf, den man haben möchte. Da ich außerdem sterblich bin, könnte ich Sara theoretisch schwängern, bevor Jerry zum Schuss gekommen ist. Und ich weiß nicht, wie gut ich als Vater wäre, geschweige denn als Stiefvater für Jerrys unehelichen Messias.
Trotz meiner Liebe zu Sara muss ich mir eingestehen, dass ich sie freigeben muss – so schmerzhaft diese Einsicht auch ist. Zum Besten der Menschen, denen ich helfen wollte, und für das kosmische Rad des Universums muss ich sie aufgeben. Allerdings kann mir niemand verbieten,
Bestimmung
weiterhin aus ganzem Herzen zu hassen.
Die Tränen, die eben noch das Pfefferspray weggewaschen haben, spülen nun meinen Kummer fort.
Ich verlasse St. Patrick’s und gehe Richtung Second Avenue. Dort halte ich an einem Eckladen an und hole mir ein Country Club Lager, das ich so schnell austrinke, dass mir immer noch die Hälfte der zwanzig Blocks zurück zur Notunterkunft bleiben. Der Morgen ist zu diesem Zeitpunkt bereits kurz davor zu enden; also denke ich mir, dass ich genauso gut anhalten und mir noch einen Liter besorgen kann, nachdem der erste so gut runterlief.
Der zweite läuft noch besser. Und plötzlich fühle ich mich besser.
Ich erinnere mich an eine meiner liebsten Bands aus dem späten zwanzigsten Jahrhundert: Sublime schienen steil auf dem Weg nach oben zu sein, als Sänger Brad Nowell an einer Überdosis Heroin starb. Wie so viele andere Musiker auf meinem Pfad.
Der Titelsong ihres ersten Albums
40
Oz. to Freedom
scheint meinen derzeitigen Zustand ziemlich gut einzufangen: »Forty ounces to freedom is the only chance I have/To feel good even though I feel bad.« Ein Liter bis zur Freiheit ist die einzige Chance, die mir bleibt, um mich gut zu fühlen, obwohl es mir schrecklich geht.
Ich bin weniger als zwei Blocks von der Unterkunft entfernt, ich bin glückselig besoffen, und ich verstehe allmählich, wieso die Literflaschen so beliebt sind: weil sie so billig sind und mein Budget begrenzt ist. In dem Moment sehe ich einen Polizeiwagen eineinhalb Blocks von mir entfernt auf der 77 th vorbeifahren.
Statt auf der Second Avenue zu bleiben, laufe ich auf der 76 th östlich zur First, biege dann in nördlicher Richtung auf die 77 th und spähe um die Ecke. Der Polizeiwagen parkt direkt vor der Unterkunft. Ein Beamter unterhält sich durch das Beifahrerfenster mit einem seiner Kollegen auf der Straße.
Als hätte ich nicht schon genug Probleme.
Ich weiß nicht, wie sie mich gefunden haben. Vielleicht über die Datenbank des New Yorker Amtes für Obdachlose. Nachdem ich gegen meine Auflagen verstoßen habe, vermute ich mal stark, dass sie einen Haftbefehl für mich haben.
Das habe ich nun davon, auf
Bestimmung
gehört zu haben.
Im Zweiliter-Rausch blicke ich zurück auf die Straße und frage mich, was ich jetzt tun soll. Ich habe keine Freundin, nichts gehört mehr mir, ich habe keinen Ort zum Schlafen, und die Bullen suchen nach mir. Also mache ich das Einzige, was mir bleibt.
Ich betrete den nächsten Schnapsladen und kaufe mir noch einen
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