Schicksal!
ihrem Monopoly-Spiel.
Sie könnte aufstehen und den Tisch verlassen. Sie würde ihren Fehler einsehen, natürlich. Das verspielte Geld wäre zwar unwiederbringlich fort, aber wenigstens wäre sie nicht total abgebrannt. Sie würde den Mut finden, zu ihrer Arbeitsstelle zurückzukehren; würde versuchen, ihre Angelegenheiten zu regeln, sie wieder auf die Reihe zu kriegen. Und sie würde es schaffen. Doch wenn sie jetzt ihre letzten Ersparnisse verspielt, wird sie ihren dreiunddreißigsten Geburtstag nicht mehr erleben.
Es sei denn,
Glück
greift ein.
»Hallo, Sergio«, sagt
Glück,
als sie sich neben mich stellt. Ihr Kleid mit den Spaghettiträgern ist mit Pailletten aus vierundzwanzigkarätigem Gold besetzt, und sie schimmert wie eine ägyptische Göttin. Ihr Haar liegt in mit Diamanten verzierten Zöpfen eng um ihren Kopf und funkelt im Kasinolicht.
»Hi«, begrüße ich sie und setze meine Sonnenbrille auf, um ihre gleißende Erscheinung etwas abzumildern. »Du siehst aus, als kämst du frisch aus Vegas.«
»Monaco, Schatz«, erwidert sie. »Ich liebe das Mittelmeer zu dieser Jahreszeit. Dort ist es irgendwie eher Urlaub als Arbeit, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich nicke, obwohl mein letzter Urlaub schon eine ganze Weile zurückliegt. Es muss kurz vor der Französischen Revolution gewesen sein.
Glück
gehört zu den Immaterien. Ein Begriff. Ein Konzept. Vage und abstrakt. Wie
Entdeckung, Kreativität, Zufall
und
Ruhm.
Ich glaube,
Lachen
ist auch ein Immaterium, während
Humor
eine Eigenschaft ist. Nicht zu verwechseln mit den Emotionen:
Liebe, Freude, Traurigkeit, Angst, Mitleid, Ekel
und all die anderen Gefühle, die Menschen verspüren.
Die Emotionen führen sich oft ein wenig theatralisch auf, haben wenig Sinn für das Rationale und sind meistens ein bisschen eindimensional – da kann man keine besonders geistreichen Gespräche erwarten. Deutlich amüsanter ist es mit den Immaterien. Das liegt vermutlich daran, dass sie sich selbst nicht so ernst nehmen und sich für alles und nichts interessieren. Allerdings neigen sie dazu, wankelmütig zu sein.
Wenn ich
Glück
treffe, dauert es selten mehr als ein paar Minuten; offenbar fällt es ihr schwer, längere Zeit an einem Ort zu bleiben. Sie ist wie eine Honigbiene, fliegt von Mensch zu Mensch, bestäubt ihn mit Glück und schwirrt wieder davon.
Um es auf den Punkt zu bringen:
Glück
hat das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom .
Im Vorbeitänzeln wirft sie einem niedergeschlagen aussehenden älteren Herrn an einem Einarmigen Banditen eine Kusshand zu. Zwei Sekunden später gewinnt er tausend Mäuse und lacht über das ganze Gesicht.
Und die Regel, sich nicht einzumischen? Die bezieht sich nur auf
Schicksal, Bestimmung
und
Tod.
Schließlich kann man weder ein Immaterium noch eine Emotion oder eine der Todsünden sein, ohne irgendeine Art von Einfluss auszuüben. Die Art, wie die Menschen mit ihrem Glück, ihrer Angst oder ihrer Eifersucht umgehen, bestimmt allerdings das Endergebnis.
Als einer der Endgültigen mische auch ich dabei mit. Dazu gehören außerdem
Bestimmung, Tod
und
Karma.
Abgesehen davon gibt es da noch die Geringeren Sünden wie
Tratsch
und
Vorurteil,
die Himmlischen Tugenden und natürlich die Subversiven wie
Krieg
etwa,
Hysterie, Verrat
oder
Paranoia.
Wenn man ein Motivationswochenende für sein Team plant, lädt man jedenfalls besser keinen der Subversiven dazu ein – egal welchen.
»Also, was treibt dich in die größte Kleinstadt Nevadas?«, fragt
Glück.
Ich nicke zu Mavis Hanson, die gerade trotz der Hard 12 in ihrer Hand gekauft hat und sich mit großen Schritten dem Bankrott nähert.
»Armes Ding«, meint
Glück.
»Hat eine ziemliche Pechsträhne, was?«
Ich nicke. »Sieht nicht gut aus.«
»Da sagst du was«, sagt sie und deutet zur Bar, an der
Tod
mit seinem weißen Haarschopf sitzt, den Sportkanal schaut und dabei an seinem alkoholfreien Shirley Temple nippt.
Teddy ist mir vorher gar nicht aufgefallen. Allerdings würde es mich nicht wundern, wenn er schon die ganze Zeit über dort gesessen und es nicht für nötig befunden hätte, zu mir herüberzukommen und hallo zu sagen. Wir haben seit fünfhundert Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, Teddy und ich. Seit damals, als er sich geweigert hat, Kolumbus von seiner sterblichen Hülle zu befreien, noch bevor der italienische Forscher den falschen Weg einschlagen und die Neue Welt »entdecken« konnte. Durch die Verzögerung der Kolonisierung Amerikas hätten wir das
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