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Schicksalspfad Roman

Schicksalspfad Roman

Titel: Schicksalspfad Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Bourne
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Cherry sich verabschiedete, gefolgt von Joannes aufheulendem Motorrad. Grace sprang auf, rannte durchs Haus zur Tür und blickte nach unten. Das Motorrad entfernte sich. Cherry saß auf dem Rücksitz und trug den weißen Helm aus Joannes Zimmer.
    »Fahrt vorsichtig«, murmelte Grace.

    Der Kühlschrank war leer, daher beschloss Grace, zu Nightingales zu gehen, Chowder zu essen und vielleicht einen kleinen Whiskey zu trinken. Vielleicht sogar einen doppelten.
    Sie verstand immer noch nicht, warum Joanne sie so angeblafft hatte. Sie wollte ihr doch bloß helfen. Sie hatte stundenlang Joannes Geschichten über Donny zugehört, wie er sie jahrelang ausgenutzt hatte, wie er ständig mit seinen Kundinnen schlief, wie sie ihn aber trotzdem liebte, denn eigentlich sei er ein süßer Typ, der sie auf seine ihm eigene, unschuldige, komische Art liebte. Jesus! Und dann hatte Grace ihr als Freundin geraten, ihn lieber auf Distanz zu halten, wie das Freundinnen eben tun, und Joanne war ihr an die Kehle gesprungen. Das war nicht fair. Grace wollte eine Entschuldigung.
    Sie zog sich an und ging in den Flipflops zu Nightingales . Der Weg führte an alten, efeuberankten Häusern mit weißen Staketenzäunen entlang und war von blauen und gelben Wildblumen gesäumt. Es war eine gute Idee, ein paar Stunden in der Bar zu sitzen, Musik zu hören und vom Captain bedient zu werden, einem der wenigen Männer, der einem nicht das Gefühl gab, mehr zu wollen als nur eine freundliche Unterhaltung.

8
    D ie Krankenhausregel schrieb vor, dass man den unverbrauchten Teil eines Medikaments nicht aufbewahren durfte, wenn ein Fläschchen geöffnet worden war. Man musste es fortwerfen oder »verschwenden« und man musste es einer anderen Krankenschwester mitteilen. »Ich verschwende gerade fünfzig Mikros Fentanyn«, musste man sagen. Mikros war ein Kürzel für Mikrogramm, ein Tausendstel eines Gramms. Tagtäglich wurden Millionen Milligramm Medizin - ganze Apotheken - in den Müll geworfen. Das musste sein. Man konnte nicht das Risiko eingehen, dass Medikamente verwechselt wurden. Es gab nur eine Möglichkeit, völlig sicherzugehen, dass die Medizin auch das war, was sie sein sollte, und das war, eine neue Verpackung zu öffnen. Die Regel besagte außerdem, dass eine andere Schwester bezeugen musste, dass das ungebrauchte Medikament tatsächlich im Müll gelandet war, aber niemand hielt sich daran.
    Joanne wusste, dass es Unrecht war, Medizin von der Arbeit mitzunehmen (es war eigentlich kein Diebstahl, denn es wurde ja ohnehin fortgeworfen), und die paar Mal, dass sie es für Donny gemacht hatte - natürlich nur für Donny -, hatte sie den heiligen Tony um Vergebung angefleht und war zur Beichte gegangen. Doch Donny litt immer noch Schmerzen. Irgendwie wollte Joanne, dass er von ihr abhängig war, zumindest für dies hier. Sie war immer noch seine Frau. Und war ihre Bereitwilligkeit, ihm zu helfen, und seine Bereitwiligkeit, sich zu demütigen
und sie um Hilfe zu bitten, nicht auch ein Beweis dafür, wie eng sie doch aneinander gebunden waren?
    Diese Gedanken beschäftigten Joannes Kopf, als sie die Spritze an Mrs. Shavelsons welkes Bein hielt, an den Vastus lateralis . Joanne verabreichte gerne Spritzen - sie mochte die Präzision und die Kontrolle, die ruhige Hand, den langsamen Druck des Daumens, die süße Verabreichung von Gnade -, allerdings hatte sie eine Todesangst davor, selbst eine zu bekommen. Das war auch eine Bedingung bei ihrer Abmachung mit Donny wegen des Morphiums gewesen. Sie würde ihm die Spritze geben. Unter keinen Umständen ließ sie ihn das selbst machen.
    »Bitte«, flüsterte Mrs. Shavelson nun mit zittriger, rauer Stimme. »Bitte.« Sie war im vierten Stadium. Ihr letzter PET-Scan hatte, Fred Hirsch zufolge, aufgeleuchtet wie ein Weihnachtsbaum. In wenigen Tagen würde man sie nach Hause entlassen, damit sie in ihrem Ehebett mit Privatpflege sterben konnte.
    »Keine Sorge«, beruhigte Joanne sie. »Wir haben die Dosis erhöht. Es wird Ihnen gleich besser gehen. Okay?«
    Als sie die Nadel in den Muskel führte und auf den Schieber drückte, spürte Joanne wie so oft ein tatsächliches Gefühl von Erleichterung, als würde das Medikament ihr selbst verabreicht. Sie fühlte sich zugleich erschöpft und machtvoll - wie ihrer Vorstellung nach Jesus sich vermutlich gefühlt hatte, als er die Hand einem fieberheißen Menschen auf die Stirn legte. Das war ihre natürliche Berufung. Als Kind hatte sie viele kranke Verwandte gehabt

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