Schicksalspfad Roman
hast, warum wir getrennt sind.«
»Hatte ich nicht«, erwiderte der Captain. »Aber es tut mir leid, dass du so was durchmachen musstest.«
Joanne hoffte, dass sie nicht irgendwie bitter wirkte, und fragte: »Bist du jemals verheiratet gewesen?«
»Vor langer Zeit«, antwortete der Captain. »Und nur kurz.«
»Was ist passiert?«
»Ich ziehe es vor, nicht darüber zu reden.«
»Das macht aber keinen Spaß«, sagte Joanne und fühlte sich durch die Abweisung leicht verletzt. Der Captain schien völlig ungerührt. Rasch wechselte sie das Thema. »Was machst du denn, wenn du nicht hinter der Theke stehst? Das fragen wir uns immer wieder.«
»Wir?«
»Ich und die anderen Mädels. Wir unterhalten uns oft.«
»Also, dann möchte ich ein schönes Geheimnis nicht zerstören«, antwortete der Captain, ging zum anderen Ende der Theke und kam auf die Vorderseite. Vielleicht war es das erste Mal, dass Joanne den Captain von Kopf bis Fuß sah. Abgesehen von dem weißen T-Shirt trug er weite, dunkelblaue Shorts und grobe, braune Lederstiefel. Seine Beine waren kräftig und gebräunt und hellblond geflaumt.
»Beeindruckend«, sagte Joanne. »Zwei Beine.« »Nicht jeder hat so viel Glück«, entgegnete der Captain.
»Beziehst du dich darauf, dass in Vietnam den Leuten oft die Beine abgeschossen wurden? Ich habe gerade erst gegessen.«
Der Captain lachte kurz auf. »Bist du etwa empfindlich?«
»Reden wir nicht über mich«, erwiderte Joanne. »Was machst du denn so zum Spaß? Abgesehen von deinen Begegnungen mit wilden Tieren.«
Der Captain sah sie einen Moment nachdenklich an. »Gehen wir spazieren«, sagte er und steuerte auf die Tür zu.
»Aber … wohin denn?«
»Um zu sehen, was mir Spaß macht.«
»Und … die Kneipe?«
Der Captain öffnete die Tür. Feuchte Hitze schlug Joanne ins Gesicht. »Was meinst du?«, fragte der Captain und zog einen Schlüsselbund aus der Tasche.
Joanne folgte dem Captain hinaus in den schwülen Nachmittag. Der Mann schien überhaupt nicht zu schwitzen. Sie gingen über die Bay Avenue mit dichter Vegetation und verschlafenen alten Häuschen auf der einen und alten, weit ausladenden Fischrestaurants auf der anderen Seite. Die weiträumigen renovierungsbedürftigen Speisesäle gingen alle aufs Wasser. An Wochentagen erinnerten diese Restaurants mit ihren großen, leeren Parkplätzen an die Verlassenheit eines aufgegebenen Vergnügungsparks. Joanne überkam eine gewisse Traurigkeit. Der Captain redete über Connie Wilberson und ihre
Idee mit den Schildkröten, die er unterstützte. Wenn man die Lederschildkröte wieder an den Ufern von Turtle Island ansiedelte, überlegte er, würden Investoren kommen und die Insel in einen feinen Badeort verwandeln wollen. Aber dann mussten sie mit den Protesten der Umweltschützer rechnen, die alles versuchen würden, um die gefährdeten Schildkröten zu schützen. Der Captain war für eine Gesetzgebung, die die großartigen amerikanischen Wasserwege beschützte. Als Fischer sorgte er sich außerdem um die Abnahme der Fischbestände durch Überfischung der großen kommerziellen Firmen, und er hatte eine ausgeprägte Meinung zu allen ökologischen Themen im Zusammenhang mit der Fischzucht. Aber er sah die Zukunft von Turtle Island optimistisch. Es war einfach zu abgelegen für die meisten New Yorker und zu sehr von Überflutungen bedroht, um allzu attraktiv für eine Entwicklung zu sein.
»Ich würde alles so lassen, wie es ist«, meinte der Captain mit einem Anflug von Patriotismus. »Und wenn man dadurch ein paar Dutzend Riesenschildkröten bekommt, damit könnte ich gut leben.«
»Ich kann das verstehen«, meinte Joanne und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Schildkrötenreservate, Schildkrötenrechte. Rettet die Schildkröten. Das Schildkrötenfestival. Als Nächstes übernehmen die Schildkröten die Insel. Fünfhundert Pfund schwere Killer-Kröten. Eine kleine Gruppe Menschen verbarrikadiert sich bei Nightingales . Wie in Dawn of the dead .«
Der Captain kicherte. »Das ist jede Menge Schildkröten-Dung. Lederschildkröten sind sehr scheu. Schmecken tun sie auch nicht sonderlich.«
»Du hast schon mal eine gegessen ?«
»Keine ganze. Die wiegen ja fast eine Tonne.«
Dann überquerten sie die Bay Avenue und gingen zum Hafen. Gewitterwolken türmten sich am Himmel auf wie weiße Gipfel.
Joanne meinte: »Ich hatte so ein Gefühl, dass wir zu den Booten gehen, Captain.« Sie folgte dem Mann auf die lange Pier.
»Da liegt sie«,
Weitere Kostenlose Bücher