Schicksalspfad Roman
schob sich weiter an die Oberfläche, bis er sie durchbrach. Er zwinkerte ein paar Mal mit den Augen, um sich an das Licht zu gewöhnen. Wo war er? Ein fremdes Zimmer, ein fremdes Bett. Nachtdunkel. Stille. Er wagte es nicht, sich zu bewegen. War es ein Traum? In was für einer Art Hotel lag er?
Als er den Kopf ein wenig drehte, sah er neben dem Bett eine Frau sitzen, die etwas las, was wie ein Filmskript wirkte. Ihr Profil war so nahe, dass er es hätte berühren können. Sie hatte honigfarbenes Haar und eine helle Haut. Eine schmale Nase, einen kleinen, ernsten Mund, der beim Lesen kaum die Lippen bewegte. Ein kräftig geschwungenes Kinn, wie eine Pionierfrau, eine Heldin der großen Ebenen. Die Augen hatte sie beim Lesen niedergeschlagen, aber er erkannte an den fein geschwungenen Lidern, dass die Iris voll Licht und Farbe funkeln würde. Die Wimpern waren lang, fein und traurig, wie durch eine Welt von Tränen geglättet.
Er beobachtete sie eine Weile und wagte es nicht, den Bann zu brechen. Doch er suchte nach Antworten auf seine vielen Fragen.
»Wo bin ich?«, fragte er.
Die Frau las weiter, als hätte er keinen Laut von sich gegeben. Da überfiel ihn Angst. Hatte er die Stimme verloren?
Er versuchte es noch einmal. »Wo bin ich?«
Jetzt sah die Frau ihn überrascht an. Ihre Augen waren groß und hellgrün. Sie strahlten Licht aus. Smaragdfunkeln.
»Hallo«, sagte sie mit einer angenehmen, herzlichen Stimme, so, als hätte sie ihn erwartet. »Haben Sie etwas gesagt?«
Er öffnete den Mund und sprach langsam: »Wo bin ich?« Es fühlte sich an, als spräche er aus einem Traum heraus und wäre zu schwach, um zu rufen.
Sie beugte ihr Gesicht dichter zu ihm. »Sie sind im Krankenhaus«, sagte sie. »Sie hatten einen Unfall.«
Krankenhaus. Unfall. Das klang nicht gut.
»Krankenhaus?«, fragte er, und dann fiel es ihm wieder ein. In ein Krankenhaus wurde man gebracht, wenn man … einen Unfall hatte.
Panik überkam ihn.
»Können Sie mir sagen, wie Sie heißen?«, fragte die Frau, die wohl Ärztin war. Denn in Krankenhäusern arbeiteten Ärzte.
»Heißen?« Er konnte sich erinnern, dass man immer wusste, wer man war. Nie brauchte jemand zu fragen. »Ich heiße …« Er wusste die Antwort, sie lag ihm auf der Zunge. »Ich heiße«, sagte er, »… Jack.«
»Jack? Sind Sie sicher?«
Er musste nachdenken. Dann lachte er, als er seinen Fehler erkannte. Jack Fabian war nicht echt. Jack Fabian war eine Figur aus einem Film. Jack Fabian hatte Dinge gesehen, die nicht für ihn bestimmt waren. Aber Jack Fabian war nicht echt. Das wusste er. Natürlich wusste er das!
»Ich heiße Matthew«, sagte er, obwohl ihn seit der Grundschule niemand mehr so genannt hatte. Er fühlte sich allerdings wie ein kleines Kind.
»Und weiter?«, fragte die Frau.
»Matthew Conner. Und wer sind Sie?«
»Ich heiße Grace, und ich arbeite als Krankenschwester hier am Manhattan Hospital. Ihr Vater ist hier und andere Menschen, die Sie kennen. Ich werde jetzt den Arzt holen, Dr. Daras, der Ihnen alles Weitere erklären wird. Okay?«
Matt Conner hörte kaum etwas anderes als diesen wunderbaren Namen: Grace. Es war wie ein Flüstern, ein Gebet.
»Gehen Sie nicht weg«, sagte er, als sie aufstand. Panik setzte wieder ein. »Bleiben Sie bei mir.«
Er wollte ihren Namen sagen, aber er entglitt ihm plötzlich, und das erschreckte ihn noch mehr als ihr mögliches Verschwinden.
Etwas Schlimmes war mit ihm geschehen. Das spürte er genau.
Er wackelte mit den Fingern und Zehen und stellte erleichtert fest, dass er sie bewegen konnte. Aber mit den Armen und Beinen probierte er es noch nicht aus. Davor hatte er zu viel Angst. Außerdem war es leichter, unbeweglich
zu bleiben. Seine Glieder fühlten sich schwer an, und er war noch nicht bereit, mehr zu erfahren. Er wollte hier bei der hübschen Krankenschwester bleiben und nie wieder an etwas anderes denken. Aber nun war sie fort, verschwunden. Er war alleine. Da fiel ihm ihr Name wieder ein: Grace. Er sprach ihn laut aus, damit er ihn nicht wieder vergaß.
Dann kam ein Mann ins Zimmer. Er trug einen Anzug und einen weißen Kittel und war sogleich als Autoritätsfigur erkennbar. Er bewegte sich selbstbewusst und locker und hatte einen gestutzten weißen Bart. Er wirkte wie der Inbegriff medizinischer Kompetenz, genau wie man es sich von jemandem erhofft, der für einen verantwortlich ist. Er war Arzt, und Matt erinnerte sich, dass er einst selbst mal Arzt gewesen war. Nicht richtig
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