Schicksalspfad Roman
verstehen gegeben, dass er ihn nicht im Zimmer
wünschte, wo er ihn ständig sehen konnte. Er sagte, das würde ihn an einen unheimlichen Film von einem Kinderrollstuhl erinnern, der einen Mann durch ein großes Haus verfolgte. Grace dachte aber, der eigentliche Grund wäre Eitelkeit. Matt wusste nun, wie verletzlich er war, und musste erst noch begreifen, dass auch ihm so etwas zustoßen konnte.
Matt, der nur sein blaues Krankenhaushemd trug, stieg ohne Hilfe aus dem Bett und schlurfte zum Rollstuhl vor der Tür. Auf dem Gang war alles ruhig, abgesehen von einer gewissen Betriebsamkeit im Schwesternzimmer, wo Dawn am Telefon sprach. Matt setzte sich in den Rollstuhl und umklammerte die Armlehnen. Er zwang sich zu einem Lächeln, denn schließlich war dies keine freie Entscheidung, sondern etwas, worauf er angewiesen war.
Grace hatte nichts dagegen, Matt diesen Wunsch zu erfüllen. Gary hatte am Ende auch immer im Rollstuhl gesessen, weil er zu schwach zum Gehen war. Grace hatte ihn damals dazu überredet, den Stuhl zu benutzen, damit sie ihn hinaus auf die Terrasse rollen konnte, um den Sonnenuntergang über dem Meer zu sehen.
Grace stellte sich hinter Matt, umklammerte die Griffe und schob ihn langsam über den Gang vom Schwesternzimmer fort, dorthin, wo alles still war. Grace erinnerte sich deutlich an die Rollstuhlfahrten mit Gary und musste über sich selbst lachen. Sie hatte inzwischen eine gewisse harmlose Schwäche für Matt entwickelt, aber man konnte das auch so deuten, dass sie eine Schwäche für schwerbehinderte Männer hatte. Doch Grace wollte keinen neuen Gary, sie wollte niemanden mit ernsten gesundheitlichen
Problemen. Sie konnte es sicher akzeptieren, im Alter einen kranken Partner zu haben, aber nicht jetzt, während sie noch jung war. Sie wollte einen gesunden Mann. Etwas anderes konnte sie sich gar nicht vorstellen.
Natürlich war es das, was Matt für sie »sicher« machte. Aufgrund seiner Verletzungen kam er für Grace in romantischer Hinsicht nicht in Frage. Daher riskierte sie nicht den geringsten Flirt mit ihm. Außerdem war sie älter als er und kaum so schön und jung wie seine üblichen Gefährtinnen. Sie waren beide in einer Art Zwischenphase, einer heimlichen Existenz. Das Leben nachts auf einer Intensivstation hatte nichts mit der Wirklichkeit zu tun. Selbst dieser kleine Trip in den frühen Morgenstunden fand außerhalb ihrer üblichen Sicherheitszone statt. Bisher waren sie nur innerhalb der Pavarotti-Suite zusammen gewesen, und dieser Ausflug bedeutete einen symbolischen Schritt in eine Außenwelt und logischerweise auch die unweigerliche Rückkehr in ein Normalleben. Als Grace Matt über den Gang schob, spürte sie zum ersten Mal eine Art Trauer, wenn etwas endete. Matt würde vermutlich in einer Woche entlassen.
»Können wir ein bisschen schneller fahren?«, fragte Matt, als sie den halben Gang hinter sich hatten.
Grace hatte eine Ahnung, wie Matt vielleicht als Kind gewesen war - sie stellte sich vor, wie er in einem Einkaufswagen saß und seine Mutter bat, schneller zu schieben. Grace wollte es eigentlich nicht, aber sie beschleunigte ihre Schritte ein wenig.
»Schneller«, sagte Matt. »Holen Sie mal alles aus diesem Baby heraus!«
»Dieses Baby macht genau das, was es soll«, sagte Grace. »Wir sind nicht auf dem Rennkurs.«
»Schneller!«, befahl Matt. »Los geht’s!«
Als sie um eine Ecke bogen, spürte Grace, was er fühlte, und begriff, was er wollte: ein Gefühl von Freiheit, von Entfesselung. Sie hatte nun selbst das Bedürfnis, schneller zu schieben, um ihm das zu vermitteln und mit ihm zu teilen.
»Schneller!«, rief er.
Grace ging jetzt so schnell sie konnte, und der Stuhl rollte schneller, als Kathy es jemals erlauben würde. Weiter würde sie nicht gehen.
»Schneller!«, schrie Matt.
»Nein«, sagt Grace, und dann blockierten plötzlich die Räder und brachten den Rollstuhl plötzlich zum Stillstand. Matt wurde dadurch vom Sitz geschleudert und fiel schwer auf den Boden.
»Matt!«, rief Grace und eilte zu ihm. Er war drei Meter vor dem Rollstuhl gelandet und lag nun mit ausgestreckten Armen auf dem Gang. Er hatte die Augen geschlossen und regte sich nicht. Grace glaubte, vor Schreck zu sterben. Sie kniete sich über den Mann und berührte sein Gesicht. Sie hatte nicht gesehen, ob er mit dem Kopf aufgeschlagen war, denn alles war so schnell geschehen. Sie wusste, dass sie zum nächsten Telefon eilen und Fred anrufen müsste, aber sie konnte sich
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