Schicksalspfade
in Bewegung setzte und näher kam. Er ballte die Hand zur Faust, schlug damit aufs Kontrollfeld…
Von einem Augenblick zum anderen wurde es hell.
Geblendet kniff Tom die Augen zusammen und eine halbe Sekunde später riss er sie wieder auf. Er zwang sich, den Kopf zu drehen und zum Fenster zu sehen, sich davon zu
überzeugen, dass die Gestalt verschwunden war.
Charlie stand dort, stumm, die bleiche Haut blutverschmiert.
Sein Blick war nicht anklagend, sondern wehmütig und traurig.
Rechts und links neben ihm standen Odile und Bruno.
Tom erbebte und erlebte einen Spasmus, der den ganzen Körper erfasste. Er hoffte, einen Herzinfarkt zu erleiden und zu sterben, um durch den Tod diesen grässlichen Erscheinungen zu entkommen. Aber er blieb am Leben und bei Bewusstsein, während sich seine Brust anfühlte, als steckte sie in einem Schraubstock. Die Trauer seiner toten Freunde war viel schlimmer als alles andere, das er sich vorstellen konnte. Zorn oder eine drohende Haltung ihm gegenüber, so etwas hätte er verstanden. Aber diese schreckliche Melancholie war
unerträglich. Im Nebel seiner Panik zeichnete sich vage die Erkenntnis ab, dass er seinen Freunden Leid tat, aber das ergab keinen Sinn, denn er war mit dem Leben davongekommen, während er ihnen den Tod beschert hatte.
Er versuchte, auf dem Bett zurückzukriechen, um den
Abstand zu den Phantomen zu vergrößern, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Es war wie in einem jener Träume, wenn man versuchte, einem Ungeheuer zu entkommen, und sich die eigenen Beine so langsam bewegten, als steckten sie in Melasse fest; man kam einfach nicht voran, blieb wie in einer Zeitlupenaufnahme gefangen. Zentimeterweise kroch Tom übers Bett, trat nach der Decke und fürchtete, dass sich die drei Erscheinungen näherten, um ihn zu überwältigen und in ihrem nach Verwesung stinkenden Grab zu ersticken.
Er fiel auf den Boden und setzte die langsame, endlose Flucht fort, den Blick auf die Geister gerichtet. Schließlich stieß er gegen die Tür seines Quartiers, die sich vor ihm öffnete und dann hinter ihm schloss. Im Korridor bemühte er sich
aufzustehen, aber die Knochen schienen aus seinen Beinen verschwunden zu sein und er sank wieder auf den Boden. Wie ein sechs Monate altes Kind kroch er auf Händen und Knien durch den Korridor, bis hin zur Krankenstation.
Die nächsten Tage vergingen im Dunst von Benommenheit und Verwirrung. Tom wurde medizinisch und psychologisch untersucht, bekam Arzneien und musste Fragen beantworten.
Die ganze Zeit über bestand er darauf, so schnell wie möglich zum Starfleet-Hauptquartier zurückzukehren – eine unerhörte Forderung von einem jungen Offizier, an dessen geistiger Stabilität der Captain der Copernicus immer mehr zweifelte.
Schließlich setzte sich der Name Paris durch. Tom war verzweifelt genug, sich auf seinen Vater zu berufen und den Captain zu beschwören, jene Familie zu respektieren, die Starfleet seit so vielen Jahren hervorragende Dienste leistete.
Tom kehrte nach San Francisco zurück, mit einem Shuttle, der von einem Lieutenant geflogen wurde. Dessen Befehl bestand darin, Tom nie aus den Augen zu lassen – man
befürchtete, dass er sich etwas antun konnte.
Tom hatte nichts dagegen einzuwenden, denn er wollte auf keinen Fall allein sein. Er versuchte, so lange wie möglich wach zu bleiben, döste nur gelegentlich ein und schreckte entsetzt aus dem Schlaf, voller Angst, erneut von den drei Personen besucht zu werden, die ihn eigentlich gar nicht besuchen konnten. Aber immer dann, wenn er ruckartig den Kopf hob, sah er nur Lieutenant Pierson, der ihm einen kurzen Blick zuwarf; um festzustellen, ob mit ihm alles in Ordnung war.
Die zweite Anhörung im fensterlosen Zimmer war wesentlich kürzer als die erste. Die gleichen drei Admirale saßen vor ihm, begleitet von ihren Adjutanten, als Tom seine schreckliche Lüge gestand und die volle Verantwortung für die Tragödie im Asteroidengürtel des Wega-Systems übernahm.
Toms Vater war diesmal nicht zugegen. Nur seine Mutter ließ ihn nicht im Stich – ihr Gesicht zeigte Kummer, aber die Liebe zum Sohn war stärker als der Schmerz. Mit stolz erhobenem Kopf stand sie neben ihm, als er aus der Flotte ausgeschlossen wurde, nicht wegen des Unglücks, sondern wegen der Lüge, der verdammten, ehrlosen Lüge, mit der er einem seiner drei Freunde die Schuld gegeben hatte. Dies war ein so
unglaublicher und abscheulicher Verrat, dass er für den Rest seines Lebens daran
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