Schicksalspfade
Realität. Rasch lernte er den Umgang mit dem Schweber und wurde zu einem geschickten Piloten. Zusammen mit Vaxi machte er lange, aufregende Ausflüge und sie kreischte angesichts seiner kühnen Manöver. Sie klammerte sich sogar an ihm fest, so wie er es sich vorgestellt hatte, und tatsächlich schienen ihre Finger auf seiner Haut zu brennen.
Jeden Abend lernten sie zusammen, wodurch sich Neelix’
schulische Leistungen erheblich verbesserten. Sie schwammen im Teich zwischen den Anwesen ihrer Familien und besuchten Konzerte, manchmal auch in Begleitung ihrer Eltern.
Ein kleines, wissendes Lächeln erschien immer dann auf den Lippen seines Vaters, wenn Vaxis Name fiel, und seine Mutter freute sich sehr über die Beziehung. Neelix wusste, dass sie damit rechneten, früher oder später eine weitere Tochter in ihre große, liebevolle Familie aufzunehmen.
Er kam nie dazu, Vaxi zur Hütte im Wald zu bringen.
Er erwähnte sie nicht einmal. Es erschien ihm kindisch und er hätte es als peinlich empfunden, Vaxi die Reste seiner Kindheit zu zeigen. Bestimmt hätte sie es für dumm und unreif gehalten, eine Hütte im Wald aufzusuchen, um sich dort irgendwelchen Phantasievorstellungen hinzugeben. Nein, Neelix konnte nicht riskieren, dass sie so etwas sonderbar und anomal fand.
Vage Schuldgefühle regten sich in ihm und manchmal
gewann er den Eindruck, einen Freund aus der Kindheit zu verlassen, ohne sich von ihm zu verabschieden. Vor dem inneren Auge sah er die Hütte, einsam und verlassen im Wald, von Insekten zurückerobert; Ranken reichten an den Wänden empor und übers Fenster hinweg.
Diese Bilder ließen Kummer in ihm entstehen und an jedem Abend schwor er, am nächsten Tag die Hütte aufzusuchen und sie wieder in einen makellosen Zustand zu versetzen.
Und jeden Tag verbrachte er so viel Zeit wie möglich mit Vaxi.
Während jener Wochen und Monate munkelte man auf Talax immer öfter von einem bevorstehenden Konflikt. Die Leute redeten immer häufiger über die Haakonianer. Neelix wusste inzwischen, dass die Talaxianer vor mehr als hundert Jahren erfolgreich gegen die kriegerischen Haakonianer gekämpft hatten. Nach jahrzehntelangen Versuchen der Herrscher von Haakon, den Planeten Talax und seinen Mond zu unterwerfen, hatte sich der Gegner voller Schmach zurückgezogen und seine Aggressionen auf andere, weniger wehrhafte Völker
konzentriert. Über Generationen hinweg herrschte auf Talax Frieden.
Jetzt kursierten beunruhigende Gerüchte, nach denen es die Haakonianer erneut auf Talax abgesehen hatten. Neelix hörte zum ersten Mal davon, als ihn sein Vater vor drei Jahren zum Schießplatz brachte. Inzwischen sprach man ganz offen darüber. Angeblich rüstete Haakon eine große Flotte aus. Oder plante einen Überraschungsangriff auf Rinax. Oder wollte Talax in eine Strafkolonie verwandeln. Die Einzelheiten änderten sich ständig, aber in einem Punkt schienen alle Leute einer Meinung zu sein: Unheilvolles bahnte sich an.
Wie man auf das drohende Unheil reagieren sollte… Da
gingen die Meinungen auseinander. Bei den Mitgliedern der Regierung – und auch bei den Bürgern – gab es krassen Dissenz in Hinsicht darauf, wie man der Gefahr einer Invasion begegnen sollte. Einige vertraten einen aggressiven
Standpunkt, verlangten den Aufbau einer Armee und eine Militarisierung der Gesellschaft.
Andere wiesen darauf hin, dass man die Haakonianer nur mit einer friedlichen, gewaltfreien Einstellung von einem Angriff abhalten konnte. Gemäßigte Kreise, zu denen auch Neelix’
Vater zählte, sprachen sich dafür aus, dass Talax keine offenen militärischen Maßnahmen ergriff, aber Streitkräfte für die Verteidigung aufstellte.
Neelix fand das alles ausgesprochen abstoßend. Als Mann, so wusste er, sollte er eigentlich Stellung beziehen, doch die Gedanken an einen Krieg erfüllten ihn mit Abscheu. Er hatte nie unmittelbare Erfahrungen damit gesammelt, während seiner Beschäftigung mit Waffen aber genug darüber gelesen, um zu wissen, dass er auf keinen Fall an so etwas beteiligt sein wollte. Andererseits… Wenn Talax angegriffen wurde – war es dann nicht seine Pflicht, den Verteidigern zu helfen?
Voller Sehnsucht dachte er an seine Kindheit zurück. Damals hatte niemand derartige Entscheidungen von ihm verlangt und er war dem Krieg nicht näher gekommen als in seinen
Phantasievorstellungen von Prinz Morax und seinen
Heldentaten. Er begann sich zu wünschen, noch ein Kind zu sein, von der Familie vor der
Weitere Kostenlose Bücher