Schicksalspfade
Entscheidung gerechnet habe und völlig unvorbereitet war. Ich bin unvernünftig, was einer Person meines Alters nicht geziemt. Es wird sich nicht wiederholen.«
T’Meni nickte knapp und Sunak warf ihm einen Blick zu, der Anteilnahme zum Ausdruck brachte – damit endete der
Moment vorsichtiger Rebellion. Tuvoks Mutter griff nach einer kristallenen Glocke und läutete, um das Frühstück servieren zu lassen.
Nie wieder fand ein Gespräch über die Ausbildung an der Starfleet-Akademie statt.
»Na los, Tuvok, du spitzohriges Wunder, lauf!« Der Ruf kam von den Seitenlinien und Tuvoks empfindliche Ohren fingen ihn problemlos auf. Er hoffte aber, dass er der Aufmerksamkeit der vielen Zuschauer im Akademie-Stadion entging. Den übermäßigen Enthusiasmus legte er seinem Zimmergenossen Scott Hutchinson nicht zur Last, aber er bedauerte, dass der junge Mann seine Worte nicht sorgfältiger wählte. Spitzohriges Wunder…
Tuvok lief die vierhundert Meter Hürden beim
Leichtathletikwettbewerb gegen einen Athleten des
traditionellen Rivalen der Akademie, der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Über Generationen hinweg hatten die »tapferen kleinen Bruins« den Universitätssport im westlichen Teil des Landes dominiert, bis im Jahr 2161 die Starfleet-Akademie gegründet wurde. Während die Akademie ihr Sportprogramm entwickelte, zu der eine erstklassige Parrises-Squares-Mannschaft gehörte, wurde sie immer mehr zu einer Herausforderung für die UCLA-Sportler, was zu spannenden Wettkämpfen führte.
Bestimmte Sportarten blieben Vulkaniern verwehrt, weil sie aufgrund ihrer größeren körperlichen Kraft den Repräsentanten anderer Völker gegenüber im Vorteil gewesen wären. Aber die Laufdisziplinen standen ihnen offen und in seinem ersten Akademiejahr hatte Tuvok als Sportart den Hürdenlauf
gewählt.
Seit er vor vier Jahren die Erde – so nannten die Menschen ihre Heimat – erreicht hatte, war er mit vielen
Merkwürdigkeiten konfrontiert worden; dazu gehörte auch der Umstand, dass man sportlichen Wettkämpfen erstaunlich viel Bedeutung beimaß. Es blieb ihm weitgehend ein Rätsel, warum die Menschen beim Sport so enormen Eifer zeigten.
Auf Vulkan diente sportliche Betätigung zwei Zwecken: Sie schuf ein Ventil für überschüssige Energie und sie beruhigte den Geist. Weder das eine noch das andere hatte etwas mit Sieg oder Niederlage zu tun. Daher mangelte es Tuvok an der typisch menschlichen Entschlossenheit, einen Rivalen zu schlagen.
Trotzdem sorgte seine natürliche Veranlagung dafür, dass er die meisten Rennen gewann, zur großen Freude seiner
Mannschaftskameraden und der übrigen Akademie-Kadetten.
Besondere Begeisterung zeigte sein Zimmergenosse. Tuvok musste zugeben, dass er das Laufen als sehr zufrieden stellend empfand. Nachdem er sich an die dichtere und kühlere Luft der Erde gewöhnt hatte, war es belebend, über die Bahn zu laufen und in einem beständigen Rhythmus eine Hürde nach der anderen hinter sich zu bringen. Die Struktur des Sportplatzes gefiel ihm. Seine Symmetrie schmeichelte dem Auge; die sorgfältig angelegten Bahnen und die Abgrenzungen formten ein einheitliches Muster.
Tuvok und der Mensch von der UCLA liefen fast das ganze Rennen über Kopf an Kopf und näherten sich jetzt der letzten Hürde. Die Rufe des Publikums feuerten beide Läufer an.
Tuvok versuchte, den Lärm aus seiner Wahrnehmung
herauszufiltern, um sich nicht von ihm ablenken zu lassen. Er konzentrierte sich auf seine Haltung, beugte den Oberkörper nach vorn, als der erste Fuß die Hürde passiert hatte, während das hintere Bein fast einen rechten Winkel zum Leib bildete.
Er achtete darauf, entspannt zu bleiben, den Rhythmus der Schritte nicht zu verändern und die Hürde als Teil eines Ganzen zu sehen. Und dann schließlich der Sprint, die letzten dreiundvierzig Meter… Tuvok fokussierte sein Selbst und verdrängte alles, bis auf einen Lichtpunkt, dem er seine volle Aufmerksamkeit schenkte. Diesem Licht lief er entgegen und beobachtete, wie es immer größer wurde…
Er überquerte die Ziellinie einen halben Schritt vor dem UCLA-Läufer.
Das Publikum jubelte. Scott eilte herbei, das orangefarbene Haar zerzaust, und schien vor Freude völlig außer sich zu sein.
Er umarmte Tuvok und klopfte ihm immer wieder auf den Rücken.
»Tuvok, du hast es geschafft, du altes Spitzohr hast es geschafft, ich wusste, dass du es schaffen würdest, du bist der Beste, Vulk, der Beste der Besten der Besten. He –
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