Schicksalspfade
gegen die Magenwände. Ein vager Geschmack von Galle erreichte seinen Gaumen.
»Ich werde den Tempeldienst antreten«, erwiderte er und gab sich alle Mühe, das leichte Zittern aus seiner Stimme zu verbannen. »Das ist seit Jahren geplant. Ich studiere die Disziplinen und werde Priester. Ich habe mich dem Cthia verpflichtet, den Schriften Suraks. Es war immer mein Wunsch, mich damit zu befassen…« Er hörte, wie die eigenen Worte außer Kontrolle gerieten. Rasch schloss er den Mund, bevor er sich noch mehr in Verlegenheit bringen konnte.
Die Augen seiner Mutter schienen sich in harten Schiefer zu verwandeln. »Genau jener Wunsch ist schädlich«, verkündete sie. »Er kommt Leidenschaft gefährlich nahe und Leidenschaft kann die Vernunft in Frage stellen. Zuerst musst du deinen Geist mit Wissenschaft reinigen. Wenn die Leidenschaft schwindet, können wir deinen Werdegang erneut erörtern.«
»Ich brauche keine Wissenschaft. Die Disziplinen werden mich läutern. Inzwischen beherrsche ich meine impulsiven Elemente und man sollte mir gestatten, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.«
»Die Entscheidung ist getroffen, Tuvok.«
Etwas Heißes und Unangenehmes brannte in ihm. Glühende Kohlen hatten die kleinen Fische in seinem Bauch ersetzt. Er schnappte nach Luft, wie im Schmerz, spürte dabei, dass sein Herz rasend schnell pochte. Fast verzweifelt konzentrierte er sich auf ein Gebet, um die Kontrolle über das eigene Selbst zurückzugewinnen. Heya… heya… heya… Ein Bild des heiligen Berges Seleya kühlte seinen Geist und er atmete wieder normal.
»Es ist unlogisch, die Entscheidung ohne mich zu treffen«, sagte Tuvok, aber seine Mutter gab ihm keine Gelegenheit, sich auf diese Weise zu verteidigen.
»Berufe dich nicht auf die Logik, um deinem Wunsch
Nachdruck zu verleihen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass du dich in dieser Angelegenheit von Emotion leiten lässt.
Um dich von ihr zu befreien, muss dir das Objekt deines Wunsches vorenthalten werden. Nur auf diese Weise kannst du das wahre Cthia erreichen.«
Tuvok wandte sich von seiner unerbittlichen Mutter ab und suchte die Hilfe des Vaters. »Terra ist eine barbarische Welt«, sagte er. »Die Menschen sind unbeherrscht und maßlos. Es ist schädlich, Zeit in einer undisziplinierten Umgebung zu verbringen.« Vor seinem inneren Auge entstanden Bilder des Tempels: schmucklose Räume mit gewölbter Decke, absolute Stille, ruhige Priester, die mit langsamen, bedächtigen Schritten zu ihren Meditationsstätten gingen. Dorthin gehörte er.
»Bist du jemals auf Terra gewesen?«, fragte sein Vater sanft.
»Bist du jemals Menschen begegnet?«
Sofort bedauerte Tuvok seine abwertenden Bemerkungen, denn sie manövrierten ihn in eine Ecke, aus der es kein Entkommen gab. Er hatte die Erde tatsächlich noch nie besucht, war auch noch nie Menschen begegnet.
Er beschloss, einen letzten Versuch zu wagen.
»Ich habe auch noch nie einen Verborgenen gesehen, aber jeder weiß, dass sie unter dem Sand der Wüste leben. Soll ich ihre Existenz leugnen, nur weil ich noch nie einem begegnet bin?«
Sunak drehte die Hände so, dass die Handflächen nach oben wiesen – eine Geste der Zurückhaltung. »Was man noch nie erfahren hat, kann man auch nicht wissen. Was man allein auf der Grundlage des Glaubens akzeptiert, steckt voller
Ambiguität. Wenn man das Doppeldeutige als wahr erachtet, so fällt man der Ignoranz zum Opfer.«
Tuvok musterte seinen Vater voller Respekt. Seine Mutter war ganz und gar steinerne Härte, stellte die stärkste Präsenz in seinem Leben dar. Sunak hingegen verfügte trotz seiner Güte über eine Logik, die sich durch eine fast unerträgliche Eleganz auszeichnete. Sunaks Rationalität konnte ein Konzept hin und her drehen, es schleifen und polieren, um die Idee dann wie einen unzerreißbaren seidenen Faden abzuspulen.
Tuvok stimmte seinem Vater zu, konnte aber nicht der
Versuchung widerstehen zu fragen: »Kann ich wenigstens meine Studienfächer wählen? Oder ist auch das bereits für mich entschieden worden?«
Ein sengender telepathischer Blitz zuckte durch sein
Bewusstsein. »Du wirst nicht mit solcher Frechheit sprechen, Kind. Entschuldige dich sofort.«
Plötzlich kam sich Tuvok wieder wie ein hilfloser kleiner Junge vor. Wie ein Kind stellte er behutsam und hoffnungsvoll den mentalen Kontakt mit seinen Eltern her. »Ich bitte euch um Vergebung«, dachte er. »Ich bitte euch zu verstehen, dass ich nicht mit einer solchen
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