Schicksalspfade
würde ihn mehrere Tage ernähren und mit dem Blut konnte er seinen Durst stillen. Dies war genau der richtige Zeitpunkt, sich an ihn heranzuschleichen und ihm das Messer in den Kopf zu stoßen. Die Logik verlangte ein solches Verhalten.
Doch irgendetwas hinderte ihn daran. Er glaubte nicht wirklich, dass der Sehlat zu eigenem Denken oder bewusster Loyalität imstande war. Aber das Tier hatte ihn nicht angegriffen und ihn fast die ganze Nacht über begleitet. Jetzt ruhte es im Sand, während Tuvok zu schlafen versuchte. Er wollte die Situation nicht romantisieren, doch er gewann den Eindruck, dass eine Verbindung zwischen ihm und dem Sehlat entstanden war. Wenn er ihn jetzt tötete… Dann verstieß er gegen die Gesetze der Wüste, was zweifellos Unheil
herausforderte.
Und so blieb er hinter dem Wall liegen, schloss die Augen und hoffte, noch am Leben zu sein, wenn die Sonne aufging.
Vier Tage lang waren Tuvok und der Sehlat zusammen
unterwegs. Sie schliefen tagsüber und wanderten des Nachts.
Es handelte sich um ein weiteres Geheimnis der Wüste, aber Tuvok versuchte gar nicht mehr, solche Rätsel zu lösen.
Vielleicht fand er nie eine Antwort auf die Frage, warum der Sehlat beschlossen hatte, ihn zu begleiten. Hier, in der endlosen Weite des weißen Sands, erschien es normal, sich mit solchen Dingen abzufinden. Es geschah einfach.
Ein Problem rückte immer mehr in den Vordergrund: Schon seit einer ganzen Weile hatte Tuvok keine Anzeichen von tierischem Leben mehr gesehen und er brauchte dringend Nahrung und Flüssigkeit. »Wir werden beide schwächer, Sehlat«, sagte Tuvok und angesichts der ausgetrockneten Lippen fiel ihm das Sprechen schwer. »Dies ist deine Domäne.
Ich bitte dich um Hilfe.«
Im Anschluss an diese Worte legte er sich hinter den von ihm geschaffenen Wall und schloss die Augen. Das Einschlafen fiel ihm mit jedem verstreichenden Tag leichter.
Als er erwachte, entsann er sich an einen Traum, der ihm Antworten auf seine Fragen versprochen hatte: Eine dunkle Präsenz, ein schwarzes, gestaltloses Etwas ragte in jenen Traumvisionen auf, ein Hüter des Wissens. Tuvok sehnte sich danach, die Dunkelheit zu erreichen und mit ihr zu
verschmelzen, um das Wissen zu erfahren. Aber je mehr er versuchte, zu der Präsenz zu gelangen, desto schneller wich sie zurück. Schließlich löste sie sich auf, wie ein Schatten im Licht der Morgensonne.
Er öffnete die Augen und sah den Sehlat, der mit blutigem Maul dicht vor ihm stand. Von einem Augenblick zum anderen war Tuvok hellwach und sprang auf.
Im Sand neben ihm lag der halb aufgefressene Kadaver eines Lematya. Das Blut war noch nicht geronnen und tropfte in den Sand. Tuvok wandte sich ihm rasch zu, schnitt weitere Adern auf, schluckte das Blut gierig und glaubte, nie etwas Köstlicheres getrunken zu haben. Anschließend nahm er sich das Fleisch vor und riss es von den Knochen, ohne das Messer zu benutzen.
Es dauerte nicht lange, bis sein Gesicht blutverschmiert war, und plötzlich spürte er das Bedürfnis, laut zu schreien, zur Sonne emporzublicken und zu heulen. Er erfüllte sich diesen Wunsch und stieß einen Schrei aus, der über die Wüste hinweghallte und in ihren Tiefen verschwand.
Der Sehlat neigte den Kopf zur Seite und sah ihn an. Hätte es Tuvok nicht besser gewusst, wäre er bereit gewesen zu glauben, dass ihn das Tier verspottete.
Am fünften Tag des gemeinsamen Abenteuers glaubte
Tuvok, im Licht der aufgehenden Sonne etwas zu erkennen. Er blinzelte mehrmals und versuchte herauszufinden, ob ihm das Flimmern der heißen Luft einen Streich spielte oder ob er wirklich das Ziel seiner Reise sah: Seleya, den heiligsten Ort auf Vulkan.
Selbst wenn er wirklich den Gipfel des Berges in der Ferne sah – er wusste, dass seine Reise noch lange nicht vorüber war.
Er brauchte mindestens zwei weitere Wochen, um den Sand zu durchqueren, der sich zwischen ihm – und dem Sehlat – und Seleya erstreckte.
Trotzdem wuchs seine Zuversicht. Er hatte überlebt und jetzt geriet der heilige Berg in Sicht, gab ihm neue Kraft.
Am nächsten Tag kam der Wind.
Jedes vulkanische Kind hatte vom heftigen Wüstenwind
gehört. Legenden und Mythen berichteten davon. Ein Wind, der den Sand aufwirbelte und ihn in dichte Wolken
verwandelte, die Wüste tagelang verdunkelte, wie ein
gewaltiger Leviathan Personen und Tiere verschlang. Es war eine spannende, aufregende Legende und man erzählte sie in der Sicherheit warmer Schlafzimmer. Kinder schauderten, wenn sie
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