Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
»Aber wir können da nicht viel machen. Also, langt zu. Wer weiß, was der Tag heute noch bringen wird.«
»Mir ist der Appetit vergangen.« Barbara schob ihren Teller beiseite, sprang auf und lief ebenfalls nach draußen.
Kapitän Hinrich und Cunard tauschten einen kurzen Blick, dann stand Cunard auf und ging ihr nach.
»Tja, Deern, nu sind wir wieder unter uns.«
Brida nickte stumm. Simons Erinnerungen an den dänischen Kerker kamen ihr in den Sinn. Sie wusste, wie sehr er unter dem Schicksal seines Vetters gelitten hatte. So sehr, dass ihn das Bild nicht einmal dann losgelassen hatte, als er sein Gedächtnis verloren hatte.
»Was denkst du, Vater?«
»Über Simon?«
»Über alles.«
»Es sind verteufelte Zeiten, Deern. Vermutlich hatte Simon keine andere Wahl als zu fliehen. Er musste das Wohl vieler Menschen über das seines Vetters stellen. Aber das mach dem Hitzkopf in unserem Schuppen erst mal klar …« Hinrich seufzte. »Junge Männer. Denen fehlt noch der Verstand. Der kommt erst, wenn sie Mitte zwanzig sind.«
»Sprichst du aus eigener Erfahrung, Vater?« Brida lächelte.
»Na, was meinste wohl, Deern? Und was meinste wohl, warum ich so zögernd mein Einverständnis gab, als Simon um deine Hand bat? Weil er mich an mich selbst erinnert, als ich in seinem Alter war.«
»Dann weißt du ja, dass er alles hat, um ein großartiger Mann zu werden.«
»Ach, Deern, du siehst mich mit den verklärten Augen einer Tochter.«
»Ja. Aber daran ist nichts Falsches«, antwortete sie bestimmt, und endlich lächelte ihr Vater.
Nach dem Frühstück ging Brida noch einmal durchs Haus. Die meisten Truhen waren inzwischen leer, die kostbarsten Möbelstücke nach Lübeck verschifft worden, ebenso die Wertsachen. Sogar die geschnitzte kleine Kogge, die auf dem Kaminsims gestanden hatte, war längst in Sicherheit gebracht worden. Die Leere machte Brida die Gefahr nur noch bewusster. Einige Familien hatten die Stadt bereits mit Pferdefuhrwerken und Ochsenkarren verlassen, auf denen sich ihr Hausstand stapelte. Die jungen Männer, die gewöhnlich zum Fischen hinausfuhren, hatten ihnen Geleitschutz angeboten. Andere wiederum hatten mit ihren Booten Wertgegenstände fortgeschafft und an sicheren Plätzen versteckt.
Brida verließ das Haus. Ohne recht zu wissen, wo ihr Ziel lag, lenkten ihre Schritte sie zum Kirchhof. Zu Annas frischem Grab. Ein schlichtes Holzkreuz erhob sich aus dem aufgeworfenen Erdhügel. Wäre Claas kein Verräter auf der Flucht und Heiligenhafen von keinem dänischen Angriff bedroht gewesen, dann hätte inzwischen wohl ein lübscher Steinmetz an einem großen Grabmal gearbeitet. Einer prächtigen Platte, auf der das Relief einer tatkräftigen Frau zu sehen gewesen wäre. Ein solches Bildwerk hatte Anna sich immer gewünscht.
Ach, Anna!, dachte sie. Du hast es hinter dir und deinen Frieden gefunden. Aber was für eine Welt hast du verlassen. Ringsum bricht alles zusammen, Freunde werden zu Verrätern, und Verwandte bekämpfen sich bis aufs Blut. Sie seufzte.
Irgendwer hatte frische Blumen auf das Grab gelegt. Vermutlich die alte Clara.
Brida ließ den Blick vom Kirchhof über den Hafen und die Ostsee schweifen. Die Elisabeth legte soeben ab, während die Adela noch beladen wurde. Was würde wohl von ihrer Heimat bleiben, wenn die Dänen angriffen? Sie dachte an die zerstörten Häuser von Fehmarn, die verkohlten Balken, die noch acht Jahre nach dem Überfall der Dänen auf die Insel in den Himmel aufragten. Zwei Drittel der Bevölkerung waren ermordet worden. Nun gut, das würde hier nicht geschehen. Wenn die Dänen kamen, wären nur noch waffenfähige Verteidiger vor Ort. Aber konnten die die kleine Stadt schützen?
O heilige Stella Maris, Stern des Meeres, schütze unsere Heimat. Lass nicht zu, dass sie der Vernichtung anheimfällt.
Auf einmal hatte Brida das Bedürfnis, in der Kirche eine Kerze zu entzünden. Ein Licht der Hoffnung, des Glaubens und des Vertrauens. Gott sollte seine schützende Hand weiter über sie und die Ihren halten. So, wie er es stets getan hatte. Denn warum sonst hatte er Simon als Einzigen gerettet, als die Smukke Grit von den Dänen versenkt wurde?
Sie war nicht allein in der Kirche. Einige Frauen verrichteten vor brennenden Kerzen stumm ihre Gebete. Brida kannte sie alle. Zu ihrem Erstaunen kniete auch die kecke Johanna vor dem Marienbild. Tiefe Schatten lagen um ihre Augen. Brida steckte ebenfalls ein Licht an und kniete neben Johanna nieder. Das Mädchen
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