Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
blickte überrascht auf.
»Brida?«, flüsterte sie.
Brida nickte kurz, dann vertiefte sie sich in ihre flehentliche Bitte um Schutz für Heiligenhafen. Als sie fertig war, bemerkte sie, dass Johanna sie immer noch ansah.
»Willst du mit mir kommen?«, fragte sie. Johanna nickte stumm. Gern hätte Brida sie gefragt, was in ihr vorging, ob ihre Mutter sich schon darauf vorbereitet hatte, den Ort zu verlassen, aber ihr Gefühl mahnte sie, das Mädchen nicht mit Fragen zu quälen. Jeder im Ort wusste, dass Johannas Mutter Afra selten nüchtern und meist im Wirtshaus Zur Seejungfrau zu finden war, wo sie sich bereits für einen Krug Wein verkaufte. So schritten sie schweigend Seite an Seite zum Haus von Bridas Vater. Sie hatten gerade den Vorgarten betreten, als Bridas Blick auf den Schuppen fiel. Der Riegel war zurückgeschoben!
»Geh schon mal vor zu Marieke«, sagte sie zu Johanna. »Ich habe etwas im Schuppen vergessen.«
Das Mädchen nickte und betrat das Haus.
Brida klopfte das Herz bis zum Hals. War Magnus entkommen? Aber wie hatte er den schweren Riegel von innen öffnen können? Oder hatte ihm jemand geholfen?
Hinter der angelehnten Tür hörte sie jemanden leise sprechen. Dänische Worte! Brida schluckte. Sollte sie um Hilfe rufen? Doch dann erkannte sie eine der Stimmen. Es war Barbara! Hastig riss Brida die Tür auf.
Simons Schwester saß auf einem Holzstoß, Magnus auf einem alten Fass ihr gegenüber. Bridas Sorge verwandelte sich in Wut. Wie konnte Barbara es wagen, den Riegel zu öffnen und ein solches Wagnis einzugehen?
»Was tut ihr hier?«, rief sie.
Barbara wandte sich erschrocken um. Magnus grinste.
»Keine Sorge«, sagte er auf Deutsch. »Ich lauf schon nicht weg. Hätte ich das gewollt, wäre ich längst nicht mehr hier.«
»Ich musste einfach mit ihm sprechen …«, stammelte Barbara. »Er ist doch mein Vetter.«
»Und damit bringst du alle in Gefahr!«, schimpfte Brida. »Was, wenn er geflohen wäre?«
»Wie ich schon sagte«, wiederholte Magnus, »ich habe nicht die Absicht, mich davonzumachen. Jannick hat mir ein vernünftiges Angebot unterbreitet. Ich habe zugestimmt. Und im Gegensatz zu manch anderem stehe ich zu meinem Wort. Außerdem brächte ich Barbara nie in Schwierigkeiten. Ich bin ja nicht wie Simon, dem alles gleichgültig ist, wenn es darum geht, sich in Sicherheit zu bringen.«
Brida spürte die Verbitterung in Magnus’ Worten, aber dahinter lag noch etwas anderes. Tiefe Traurigkeit und eine Enttäuschung, die einem nur ein Mensch bereiten kann, den man zuvor bewundert hat. Ihr Zorn auf Barbara verflog. Sie nahm neben ihr auf dem Holzstoß Platz.
»Was hätte Simon Eurer Meinung nach tun sollen, Magnus? Er erfuhr erst, dass man Christian für den Spion hielt, als der schon im Kerker lag.«
»Hätte er ihm von Anfang an reinen Wein eingeschenkt, dann wäre Christian vorsichtiger gewesen.«
»Ja, aber bedenkt, Simon hätte ihn auch von Anfang an in eine gefährliche Angelegenheit mit hineingezogen. Und das wollte er nicht.«
Magnus schnaubte. »Ihr müsst ja so sprechen. Barbara hat mir erzählt, dass Ihr Simon heiraten wollt.«
»Ich würde auch so sprechen, wenn er ein Fremder wäre. Ihr wisst ja nicht, wie sehr ihn das Bild verfolgt hat. Sogar während der Zeiten seines Gedächtnisverlusts.«
Sie erzählte Magnus von dem Kerkerbild, das Simon in den Tagen, da man ihn noch Erik nannte, immer wieder heimgesucht hatte. »Ihr ahnt nicht, wie schwer ein Gewissen wiegen kann, wenn es solche Schuld auf sich geladen hat. Glaubt Ihr wirklich, einer Eurer Vorwürfe könne schwerer wiegen?«, schloss sie ihre Rede.
Magnus schwieg.
Vor dem Schuppen hörten sie Schritte, die sich eilig näherten. Dann wurde die Tür aufgerissen.
»Verdammt, wer hat den Riegel geöffnet?« Jannick stand vor ihnen, das Gesicht wutverzerrt.
Barbara sprang erschrocken auf.
»Ich … ich wollte …«
»Mir aus den Augen!«, schrie Jannick.
Barbara floh aus dem Schuppen.
»Lass sie in Ruhe!«, ging Magnus dazwischen. »Sie hat mehr Verstand als du, denn sie weiß, dass ich zu meinem Wort stehe.«
»Ach so? Weiß sie auch, dass du Simon den Tod an den Hals wünschst?« Jannicks Augen blitzten gefährlich.
»Ja, das weiß sie«, gestand Magnus trotzig. »Aber inzwischen wünsche ich ihm den Tod nicht mehr. Er soll mit seiner Schuld leben. Mit dem Gefühl, einen Verwandten ins Unglück gestürzt zu haben, der ihm immer ein Freund war.«
Jannick verschränkte die Arme vor der Brust.
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