Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
Und hatte ihr Vater ihr nicht tags zuvor erklärt, dass sie keine großen Einflussmöglichkeiten mehr hätten, wenn sich erst die große Politik Eriks bemächtigte?
Heilige Maria, Stern des Meeres, betete sie still vor sich hin, beschütze ihn und hilf meinem Vater, Erik aus der ungerechten Gefangenschaft zu lösen. Hilf uns, wie du uns immer geschützt hast, zu Wasser und zu Lande.
6. Kapitel
S timmengewirr drang durch das vergitterte Oberlicht in seine Zelle. Händler und Marktschreier feilschten, Frauen tauschten den neuesten Klatsch aus. Schritte, das Rumpeln von Wagenrädern, das Klappern von Pferdehufen. All die Geräusche, die das Leben mit sich brachte. Das Leben …
Erik hatte sich lang auf seiner Pritsche ausgestreckt und lauschte dem Treiben mit geschlossenen Augen. Die Frau, die so lautstark ihre Pasteten anpries, war bestimmt groß und dick. Jedenfalls klang ihre Stimme so. Ganz anders als der Tuchhändler, dessen Verkaufsstand dem Rathaus vermutlich am nächsten lag. Er war wohl eher klein und schmächtig, mit einer Stimme, die für einen Mann eigentlich zu hoch war.
Eine Weile versuchte er, sich die Gesichter zu den Stimmen vorzustellen, bis alles in einem großen Gemurmel unterging.
Eine unruhige Nacht lag hinter ihm. Obwohl er müde war, fand er lange keinen Schlaf. Später wurde er von wirren Traumgespinsten heimgesucht, an die er sich nach dem Erwachen nicht mehr erinnern konnte. Die Wächter hatten bis in die frühen Morgenstunden mit den Würfeln geklappert und dem Wein stärker zugesprochen, als es geraten war, wenn sie ihre Aufgaben pflichtgemäß erfüllen wollten. Immerhin hatten sie ihn in Ruhe gelassen, nur einmal am frühen Morgen wortlos die Tür geöffnet, als ein Knecht kam, um den Eimer für die Notdurft auszuleeren. In dem Moment hatte er sich gefragt, wie es wohl in den anderen Kerkerzellen aussehen mochte. Etwas später brachte ihm einer der Männer frisches Wasser und musterte ihn ganz erstaunt, als er sich dafür bedankte. Vermutlich waren sie von ihren Gefangenen keine Höflichkeiten gewohnt. Zum Essen hatten sie ihm nichts gebracht, denn der ganze Tisch lag noch voll mit Bridas Gaben.
So fühlte es sich also an, wenn das Schlimmste eingetreten war. Erik atmete tief durch. Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Angst. Aber wovor fürchtete er sich? Es war nicht allein die Furcht, monatelang in dieser Zelle eingesperrt zu sein, nichts tun zu können, als die Wände anzustarren und auf das Treiben oberhalb der Gitter zu lauschen. Obwohl dieser Gedanke erschreckend genug war. Es gab jedoch noch etwas Tieferliegendes, etwas, das er nicht fassen konnte.
Wasser läuft am rauen Mauerstein hinab, an den Wänden hängen Ketten. Es riecht nach Moder, Fäulnis und Angst …
Warum verfolgte ihn dieses Bild? Es heftete sich genauso hartnäckig an seine Seele wie die immer wieder auftauchende Erinnerung an die Frau, die ihn in die Tiefe riss.
Vor dem Oberlicht wurde es lauter. Der Tuchhändler schien mit einer Kundin in Streit geraten zu sein. Oder war es nur ein besonders heftiges Feilschen?
Schritte vor seiner Tür lenkten ihn ab. Der Schlüssel wurde ins Schloss geschoben und umgedreht. Etwas zu schnell richtete Erik sich auf und spürte schmerzhaft seinen Körper. Nicht nur die Wunde in der Brust, sondern auch seine Schultergelenke und die Rippen.
Stadtrat Claas betrat die Zelle. Ob er schon etwas herausgefunden hatte? Nein, dazu war die Zeit zu kurz gewesen.
»Guten Morgen«, begrüßte er Erik.
»Morgen«, erwiderte Erik den Gruß in abgeschwächter Form. Für ihn war dieser Morgen nicht gut.
»Lass uns allein!«, befahl Claas dem Wächter. Der nickte nur und ging.
Der Stadtrat setzte sich auf einen der Schemel, Erik blieb auf der Pritsche sitzen.
»Ich habe mit Brida gesprochen«, begann Claas. »Sie erzählte mir, dass Ihr Euch an den Namen Eurer Schwägerin erinnert habt.«
»Elisabeth«, bestätigte Erik. Darum also ging es. Der Stadtrat brauchte weitere Einzelheiten.
Claas nickte. »So sagte Brida. Sind Euch in der letzten Nacht vielleicht noch weitere Erinnerungen gekommen?«
Draußen zeterte die Frau inzwischen so laut, dass seine letzten Worte in dem Lärm untergingen. Beinahe gleichzeitig blickten beide Männer zum Oberlicht hinauf.
»Ich dachte immer, hier sei es schön ruhig«, bemerkte Claas mit einem ironischen Lächeln.
»Vermutlich nicht an Markttagen«, antwortete Erik, ohne das Lächeln zu erwidern. Er fühlte sich zu elend und zerschlagen,
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