Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
und fauligem Stroh, die tief unter dem Rathaus lagen.
»Er sitzt in der Eins«, sagte Claas, als würde das alles erklären, doch Brida begriff gar nichts. Der Stadtrat deutete ihren verwirrten Blick richtig. »Du wirst es sehen, Brida. Die Eins ist eher mit einer Kammer in einer Herberge zu vergleichen. Sie ist für solche Fälle wie diesen vorgesehen.«
»Deern, ganz unten in der Truhe in meiner Kammer, da liegen noch zwei Hemden, die müssten dem Erik passen. Der ist ja noch nicht so kräftig um die Leibesmitte wie ich.« Kapitän Hinrich klopfte lächelnd auf seinen Bauchansatz.
»Danke, Vater.«
»Anscheinend hat nicht nur Brida einen Narren an diesem Erik gefressen«, stellte Claas mit einem Augenzwinkern fest.
»Er ist ’n anständiger Kerl, der einfach Pech hatte«, sagte Hinrich. »Und sei ehrlich, Claas. Hat er dir irgend’n Grund gegeben, ihn einzusperren?«
Der Stadtrat senkte den Blick. »Es herrschen harte Zeiten. Für alle.«
Die Sonne stand schon tief am Himmel, als sich Brida und Marieke auf den Weg zum Rathaus machten.
Die Männer in der Wachstube waren höflich, aber sie wirkten nicht sonderlich erfreut, noch gestört zu werden. Das Brot, die Würste und der Krug Wein auf dem Tisch sprachen für sich. Ebenso wie die Würfel.
»Na, hoffentlich habt ihr auch an euren Gefangenen gedacht«, sagte Marieke mit Blick auf das zünftige Abendmahl.
»Der hat schon keinen Grund, sich zu beschweren«, bekam sie zur Antwort. Dann griff der Wächter nach dem Schlüssel mit der römischen Eins.
Erik saß auf einem Schemel und starrte in eine Ecke seiner Zelle. Beim Klappen der Tür stand er auf und wandte sich um. Über seiner rechten Augenbraue war ein blutiger Riss zu sehen, der wohl von einem Faustschlag herrührte. Ebenso wie die blutverkrustete Lippe.
»Jungfer Brida und ihre Perle Marieke. Welch schöne Überraschung!« Er lächelte sie an, doch seinem Lächeln fehlte die Kraft. Es war ihm deutlich anzusehen, dass sich die zerschlagene Lippe schmerzhaft spannte. Sein Anblick schnitt Brida ins Herz. Das hatte er nicht verdient. Seyfried hätte hier sitzen müssen, nicht Erik.
In der Ecke fiepte es. Erik blickte sich kurz um.
»Was ist da?«, fragte Brida.
»Eine Mäusemutter beim Umzug«, antwortete er. »Sie hatte sich den Strohsack als Kinderstube ausgesucht, und ich habe mir die Freiheit genommen, das Nest dort hinten hinzulegen. Es hat gedauert, bis sie kam, aber inzwischen hat sie fast alle ihre Kleinen fortgeschleppt.«
»Mäuse!« Marieke rümpfte die Nase. »Und mit solchem Ungeziefer müsst Ihr es hier aushalten!« Sie drehte sich um, doch der Wächter war schon wieder verschwunden. Vermutlich befürchtete er, sein Kollege werde sich sonst allein über Wein und Würste hermachen.
Erik lachte. »Marieke, schimpf nicht über die Mäuse. Sie haben mir geholfen, mich an etwas zu erinnern.«
»Woran habt Ihr Euch erinnert?«, fragte Brida.
»Bitte setzt Euch doch!« Er wies auf die beiden Schemel und ließ sich selbst auf der Pritsche nieder. Brida fiel auf, wie erschöpft und elend er aussah. Und das Blut auf seinem Hemd zeigte, dass seine Wunde noch eine Zeit lang geblutet haben musste, nachdem man ihn fortgebracht hatte.
»Vielleicht sollte ich mir erst mal Eure Verletzung ansehen«, schlug sie vor. »Claas hat mich nur deswegen zu Euch gelassen.«
»Das wäre sehr freundlich«, erwiderte er leise.
»Dann solltet Ihr das Hemd ausziehen.«
Er nickte und kam ihrer Aufforderung nach. An seinen Bewegungen erkannte sie, dass seine Schmerzen größer waren, als er zugeben wollte.
Brida griff nach dem Korb, den Marieke auf dem Schoß hielt, holte die beiden Hemden ihres Vaters heraus, Verbandstoff, Wundsalbe, einen Laib Brot, drei Würste und einen halben Kuchen. Eriks Augen wurden immer größer.
»Es scheint Eure Passion zu sein, mir das Leben zu retten«, stellte er fest. »Vermutlich stehe ich auf ewig in Eurer Schuld, Jungfer Brida.«
Sie senkte verlegen den Blick und machte sich daran, den durchgebluteten Verband zu entfernen. Erik ließ sich nichts anmerken, dennoch spürte sie, wie er zusammenzuckte, als sie die letzten Lagen entfernte, die auf der Wunde hafteten. Die Wundränder waren blutverkrustet, aufgetrieben und gerötet. Sie griff nach der Salbe und trug sie vorsichtig auf. Diesmal zuckte er nicht, aber die Art, wie er sie ansah, machte sie auf unerklärliche Weise verlegen. Sie bemühte sich, möglichst nur auf ihre Arbeit zu achten. Überall an seinem Oberkörper
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