Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
offenbaren? Oder es für sich behalten? Andererseits musste er sich unbedingt mit jemandem austauschen, wenn er nicht verrückt werden wollte. Und wenn er jemandem vertrauen konnte, dann ihr, so, wie sie für ihn eintrat.
»Wie kommt es, dass ich eine Schwertwunde habe? Und nach Eurer Einschätzung habe ich sie mir nicht beim Untergang des Schiffs zugezogen, sondern sie ist mindestens einen Tag älter, oder?«
»So genau kann ich das nicht sagen«, wich Brida aus.
»Angenommen, es wäre so, dann bedeutet es, dass ich vorher verletzt wurde. Ich habe mich an Vordingborg erinnert, aber es gibt einen Unterschied in meinen Gefühlen. Das Vordingborg meiner Kindheit, in dem mein Bruder mich ruft, ist ein anderer Ort als der, den ich verlassen habe.«
Sie starrte ihn verwirrt an. »Was wollt Ihr damit sagen?«
»Der Gedanke an Vordingborg erfüllt mich mit unerklärlichem Grauen. Ich weiß nicht, wovor ich mich fürchte, aber die Angst ist allgegenwärtig. Was, wenn das untergegangene Schiff gar nicht mir gehörte, sondern ich aus Vordingborg geflohen bin?«
Brida wurde blass. »Warum hättet Ihr fliehen sollen?«
»Das weiß ich eben nicht. Zwei Bilder verfolgen mich. Das eine kennt Ihr. Die geheimnisvolle Frau im Wasser. Das andere habe ich Euch bislang verschwiegen.« Er atmete tief durch, dann erzählte er ihr von dem Kerkerbild.
»Aber das ergibt doch keinen Sinn«, wandte Brida ein, nachdem er geendet hatte. »Ihr wart frisch rasiert, und Eure Kleidung sah nicht danach aus, als hättet Ihr in einem Kerker gelegen.«
»Ich weiß. Gerade das macht mich so stutzig. Es gibt Bruchstücke in meinen spärlichen Erinnerungen, die nicht zusammenpassen. Und Gefühle, die ich nicht einordnen kann.«
»Welche Gefühle bringt Ihr der Frau aus Eurem Traum entgegen? Steht sie Euch nahe?«
»Ich weiß es nicht. Über allem lastet die Angst, sie loszulassen. Bin ich mit ihr zusammen geflohen? Wollte ich sie retten? Oder ist sie einfach nur ein Sinnbild für den Verlust? Wenn sie mir wichtig war, müsste ich mich doch an Einzelheiten erinnern, so wie bei meinem Bruder. Und ihr Leichnam müsste längst angespült worden sein, wenn es sie wirklich gab und ich sie losgelassen habe. Es sei denn, irgendwer hätte sie gerettet. Aber wer?«
»Bei dem Sturm war gewiss kein Fischer draußen«, erklärte Brida. »Und weitere Tote wurden nicht angespült.«
Erik nickte.
»Ihr glaubt also«, fuhr Brida fort, »dass Ihr einen Grund hattet, aus Dänemark zu fliehen? Womöglich mit dieser Frau?«
»Nein … das heißt, ich weiß es nicht.« Ihre Blicke trafen sich, und diesmal errötete sie nicht, sondern sah ihn wieder voller Mitgefühl an. »Brida, ich … ich habe keine Ahnung, was dahintersteckt. Aber ich bin mir ganz sicher, dass es nicht so einfach ist, wie es scheint. Nur kann ich mich niemandem anvertrauen außer Euch. Denn wenn es so ist und ich tatsächlich nicht das harmlose Opfer eines Sturms geworden bin, dann könnte die Rückkehr nach Dänemark für mich unter Umständen tödlich sein.«
Nun war es ausgesprochen. Seine größte Angst, die er sich bis dahin nicht eingestanden hatte.
»Niemand wird Euch zwingen«, flüsterte Brida.
»Brida, es wird niemanden kümmern, was mit mir geschieht, wenn ich nach Dänemark zurückkehre, sofern das Lösegeld stimmt oder irgendein wichtiger Mann gegen mich ausgetauscht werden kann.«
Sie war blass geworden. »Aber wir wissen doch gar nichts.«
»Nein, wir wissen nichts«, wiederholte er leise. »Das ist das Schlimme.« Wieder das Pochen in seinem Schädel, das ihn seit seinem Gespräch mit Claas unablässig quälte. Er presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen.
»Ihr habt Schmerzen«, sagte Brida. »Wartet, dagegen kann ich etwas tun. Dreht Euch um.«
Er tat, was sie verlangte, und fragte sich zugleich, was sie wohl gegen das fürchterliche Pochen tun wollte. Dann spürte er ihre Finger zwischen Schulter- und Nackenmuskeln, merkte, wie sie die verspannte Muskulatur knetete. Ein seltsamer Druck, aber er half. Der Schmerz in seinem Kopf ließ nach.
»Besser?«
»Ja. Wie bringt Ihr das zuwege?«
»Harald hat es mir vor vielen Jahren gezeigt«, sagte sie, ohne aufzuhören. »Alles im Körper hängt zusammen, und wenn er sich verspannt, dann steigt der Schmerz entweder in den Kopf oder in den Unterleib.«
»Kann es sein, dass ich gerade den Verstand verliere?«, fragte Erik, während er sich ihren heilenden Händen ganz überließ und merkte, wie der Schmerz im Schädel
Weitere Kostenlose Bücher