Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)
bereit sei, sein Leben zu wagen, um im Auftrag der Hanse die dänischen Pläne zu erkunden, der vielleicht sogar das Unmögliche schaffe, nämlich Hein Hoyer zu befreien, da meldete Simon sich freiwillig.
»Willst du das wirklich tun?«, hatte Jannick ihn gefragt. »Du weißt, es ist gefährlich.«
Ja, er wollte es tun. Vielleicht als Wiedergutmachung, weil er bei der Schlacht am Öresund nicht dabei gewesen war. Vielleicht auch, weil er noch immer eine Rechnung mit König Erik offen hatte. Welche Ironie des Schicksals, dass Simon in den letzten Wochen ausgerechnet den Namen des verhassten Dänen wie seinen eigenen getragen hatte. Er hatte sich beinahe vertraut angefühlt. Ebenso wie das Gefühl, ein Däne zu sein.
Seine Gedanken schweiften weiter zurück. Seine dänische Abkunft hatte ihn zum vollkommenen Werkzeug der Hanse gemacht. Ebenso wie seine Ausbildung an der Deutschen Fechtschule. Er war ein Mann, der das Dänische so gut beherrschte wie das Deutsche, der von Hein Hoyer selbst in die Kunst der Diplomatie eingeweiht worden war. Ein Mann, der fechten konnte wie der Teufel. Und der zugleich einen unversöhnlichen Hass gegen den dänischen König in seiner Brust trug.
Auf einmal erfüllte Simon Scham. Brida und ihr Vater hatten stets zu ihm gestanden. Ihnen war es gleich gewesen, woher er kam und was er war. Sie sahen den Menschen, halfen ihm ohne jede Bedingung, allein aus Nächstenliebe. Hätte er das auch gekonnt? Oder wäre er jemand gewesen, der gemeinsam mit Pfarrer Clemens gegen alles Dänische gewettert hätte?
»Willst du das wirklich tun?« Immer wieder hatte Jannick ihm diese Frage gestellt. Und jedes Mal hatte er genickt. Ja, er wollte es tun. Wollte die Pläne der Dänen ergründen, wollte versuchen, Hein Hoyer zu befreien. Er war sich so sicher gewesen, dass er es schaffen würde. Der Plan war einfach. Ein gespielter Bruch mit der Familie. Wertlose Dokumente der Hanse, die er als Beglaubigung am Hof des dänischen Königs vorwies. Dokumente, denen zufolge er ein Überläufer war. Ein guter Plan, den er in Kopenhagen mühelos in die Tat umsetzte.
Bis Christian auftauchte. Sein Vetter. Nein, er war mehr als sein Vetter. Er war der Freund seiner Kinderjahre. Jeden Sommer hatte er mit ihm verbracht. Vieles verband sie. Auch die Zweisprachigkeit. Damals hatten sie noch keinen Gedanken daran verschwendet, dass ein Unterschied darin bestand, ob der Vater oder die Mutter dänisch war. Zwei kleine Jungen, die sich in beiden Welten zu Hause fühlten. Aber Christian war Däne, Simon war Deutscher.
Alte Bilder erfüllten Simons Herz mit schmerzhafter Erinnerung. Wie sie gemeinsam in dem Teich hinter Großvaters Hof geangelt hatten. Immer war ihnen Christians kleiner Bruder Magnus hinterhergelaufen, der mit unendlicher Liebe an seinem großen Bruder hing. Simon seufzte. Christian hätte Bridas Vater gefallen, denn er war frei von jener Verbitterung, die Simon in sich trug. Und so machte Christian einen entscheidenden Fehler. Er glaubte Simons Täuschung. Wollte ihn mit seiner Familie versöhnen. Wann immer Simon am Hof des dänischen Königs seine Rolle spielte und auf die Hanse schimpfte, sich selbst einen Dänen nannte und seinen deutschen Vater verfluchte, da stellte Christian sich schützend vor Simons Vater. Versuchte zu vermitteln. Und geriet schon bald in den Verdacht, aufseiten der Deutschen zu stehen. Immerhin hatte Christian eine deutsche Mutter. Und sprach er nicht viel zu gut von der Hanse? Das Getuschel nahm zu, doch Christian scherte sich nicht darum.
Vielleicht hätte er Christian die Wahrheit sagen sollen. Aber er hatte Angst. Christians aufrechte Versuche, ihn mit seiner deutschen Familie zu versöhnen, machten Simons Rolle glaubwürdiger. Und so schwieg er. Nur kein Wagnis eingehen. Einzig der Auftrag zählte.
Eines Abends glückte es Simon endlich, unbemerkt in die Privaträume des Königs zu gelangen, während im Schloss ein rauschendes Fest stattfand. Kaum einer der Männer war noch bei klarem Verstand. Auch er spielte den Betrunkenen, doch er war nüchtern genug, um sich durch die Räume zu schleichen. Er fand die Dokumente, nach denen er so lange gesucht hatte. Und sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Am 24. Mai wollte die dänische Flotte erneut zuschlagen. Ihr Ziel war Heiligenhafen. Ein Ort, den er damals nur vom Namen her kannte. Und von seiner strategischen Bedeutung. Jetzt kannte er die Menschen. Bridas Heimat. Ihm wurde kalt …
Der 24. Mai. Der Hanse
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