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Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Schicksalsstürme: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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blieben kaum mehr zwei Wochen, um ihre ausgedünnte Flotte in Bereitschaft zu versetzen und alle Vorbereitungen zu treffen.
    Weitere Bilder stürzten auf ihn ein. Bilder, die er am liebsten für immer aus seinem Gedächtnis getilgt hätte.
    Aus meinem Gedächtnis getilgt?
    Die Erkenntnis durchzuckte ihn wie ein Messerstich. Genau diese Gnade war ihm widerfahren. Doch es war keine Gnade gewesen. Es war ein Fluch. Ein Fluch, der einen Feigling getroffen hatte, der sich seiner Vergangenheit nicht länger stellen wollte. Simon atmete tief durch, dann zwang er sich, die alten Erinnerungen zu betrachten.
    In Kopenhagen bemerkte man bald das Fehlen der Dokumente. Niemand verdächtigte ihn, denn er war geschickt genug gewesen, keine Spuren zu hinterlassen. Aber König Erik brauchte einen Schuldigen.
    Es war am frühen Morgen gewesen. Er war gerade aufgestanden und hatte sich ein reichliches Frühstück gegönnt. Scherzte mit den Mägden, wie er es in seiner Rolle als verwöhnter jüngster Sohn, der mit seinem Vater gebrochen hatte, so gern tat. Da hörte er, dass man Christian noch in derselben Nacht festgenommen hatte. Man hielt ihn für den Spion. Christian, der niemals jemandem etwas zuleide getan hätte. Der sich niemals in dieses Spiel aus Hass und Gewalt verstricken lassen wollte. Der sowohl zum Erbe seines Vaters als auch seiner Mutter stand.
    Wasser läuft am rauen Mauerstein hinab, an den Wänden hängen Ketten. Es riecht nach Moder, Fäulnis und Angst. Irgendwo schreit jemand. Ein Schrei, der ihn nie mehr loslassen wird …
    Es war Christian, der geschrien hatte. Simon war zu spät gekommen. Er konnte seinen Vetter nicht aus dem Kerker befreien, er musste an seinen Auftrag denken. Und so verließ er Kopenhagen mit Ziel Vordingborg. Er musste Hein Hoyer befreien. Für Christian konnte er nichts mehr tun.
    Konnte ich es wirklich nicht? Hätte ich mich stellen müssen, um ihm die Folter zu ersparen? Um sein Leben zu retten?
    Damals war ihm die Antwort leichtgefallen. Er hatte einen Auftrag. Er musste das Wohl vieler über das seines Vetters stellen. Auch über sein eigenes. Doch die Wahrheit war viel einfacher. Er war zu feige gewesen. War vor lauter Angst davongelaufen. Hatte Christian einfach seinem Schicksal überlassen …
    In Vordingborg verließ ihn sein Glücksstern endgültig. Er schaffte es zwar noch bis in den Turm, in dem man Hoyer gefangen hielt, aber dann wurde er entdeckt. Drei gegen einen. Hochreißen, Ausfall, Parade, das Geräusch, wenn Metall über Metall schrammt. Eine schnelle Drehung. Verdammt, er ist nicht schnell genug …
    Auf einmal bekamen alle Mosaikteilchen, die ihn in den letzten Wochen verfolgt hatten, eine Bedeutung. An jenem Abend war er verwundet worden. Konnte sich mühsam auf sein Schiff retten, doch schon hatten die Wachen Alarm geschlagen. Seine Mannschaft zögerte, wollte bei dem heftigen Sturm nicht auslaufen, aber als sie das Geschrei aus Vordingborg hörten, war alles Zaudern vergessen. Die Smukke Grit war ein schnelles Schiff. Aber gegen die Kanonen des dänischen Kriegsschiffs war sie machtlos. Holz splitterte, der Mast fiel. Die alte Dame sang ihr Totenlied unter dem Donner dänischer Kanonen. Bevor das Schiff ganz unterging, sprang Simon über Bord, griff nach einem herumtreibenden Stück Holz. Das Wasser war eisig kalt. Hinter ihm schrien die Männer. Und wieder war er einfach davongelaufen. Nicht bis zum Schluss an Bord des Schiffs geblieben. Wieder schützte ihn sein Auftrag. Ich muss die Botschaft nach Lübeck bringen. Alles andere ist unwichtig.
    Als der Morgen graute, da war sein Leben zwar gerettet, aber er hatte alles verloren, was ihn selbst ausmachte. Nichts war ihm geblieben. Nicht einmal sein eigener Name. Und Ironie des Schicksals – sie nannten ihn nach seinem ärgsten Feind …
    Im Studierzimmer des Vaters sah es aus wie immer. Scheinbar achtlos durcheinandergeworfene Dokumente, die einem Fremden leicht den Eindruck eines Chaos vermitteln konnten, tatsächlich aber Vaters eigene Ordnung zeigten. Nur eines hatte sich verändert. Um die Augen seines Vaters lagen Schatten, die er nie zuvor gesehen hatte. Er hatte sich um seinen Jüngsten gesorgt.
    Sie setzten sich an den kleinen Tisch, auf dem noch eine halb volle Karaffe mit Wein stand. Jannick holte drei Gläser. Die teuren aus Venedig für besondere Anlässe.
    »Nun erzähl, Simon! Was hast du erlebt? Konntest du den Auftrag erfüllen?« Die Zuneigung in den Augen des Vaters minderte die

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