Schieber
entdeckte.«
»Und Sie erkannten, dass die Tonbänder ein Geschäft sind?«
»Das unterscheidet Gewinner von Verlierern.«
»Warum kaufen Amerikaner diese Bänder? Die hören Jazz.«
»Die hören auch Klassik. Und sie sind hinter Europas Genies her. Die
Amerikaner kaufen die Bilder alter Meister. Sie holen unsere Professoren an
ihre Universitäten. Sie lassen sich Wolkenkratzer von deutschen Architekten
bauen. Die Kombination aus Beethoven und Furtwängler aber ist unschlagbar.«
»Und so wird aus einem Boxpromoter ein Musikpromoter?«
»Unsinn. Ich wäre ja wirklich verrückt, wenn ich wegen einiger
geschmuggelter Tonbänder meine Karriere riskieren würde – ich habe sie
stattdessen damit gefördert.« Kümmel schließt wieder die Augen, schüttelt den
Kopf. Stave fühlt sich wie ein begriffsstutziger Schüler vor einem
gelangweilten Lehrer, seine Rechte zittert vor Wut. Er legt den Sicherungshebel
um. Fehlt noch, dass ich den Kerl exekutiere, sagt er sich.
»Ich will meine Kämpfer nach Amerika bringen«, fährt der Promoter
fort. »Big Business. Für große Kämpfe brauchen sie viel Aufmerksamkeit.
Reporter. Kamerateams der Wochenschau. Am besten aber funktioniert in Amerika
das Radio. Live vom Kampf, Korrespondenten direkt am Ring, die mit hysterischer
Stimme jeden Schlag kommentieren, Millionen Zuhörer an den Geräten. In Amerika
senden Hunderte Stationen, in Texas, in Iowa, in Colorado, in Orten, von denen
Sie noch nie etwas gehört haben. Ganz anders als der Reichsfunk des Herrn
Goebbels und anders als die Sender, die uns die Engländer verordnen. Kleine,
private Stationen, geführt wie Zeitungen. Geführt von Unternehmern, die Gewinne
machen wollen. Die können nicht ständig Boxkämpfe übertragen. Die müssen ihre
Sendezeit füllen, möglichst gut, möglichst billig.«
»Mit Musik aus Deutschland.« Staves Hand zittert nicht mehr.
»Klassik ist unverfänglich. Viele Stationen interessiert Beethoven
selbstverständlich nicht, die senden nur Jazz. Aber eine Minderheit von sehr
viel ist immer noch viel: Es gibt Dutzende Sender, die klassische Musik ausstrahlen.«
»Und für die Ihre Tonbänder wie ein Rohstoff sind.«
»Ich schaffe die Tonbänder in versteckte Lager am Hafen. Dann bringe
ich sie auf Schiffe nach New York. Dort kopiert ein Geschäftspartner die
Aufnahmen auf Hunderte Langspielplatten. Die werden billig an die Stationen
verteilt.«
»Ein gutes Geschäft für Sie und Ihren Partner.«
»Für meinen Partner. Nicht für mich. Zunächst nicht. Ich gebe die
Tonbänder billig ab, ein paar Dollar das Stück, ein Taschengeld, ein Witz für
den Aufwand, den ich treiben muss. Aber«, und hier gelingt es Kümmel, trotz
seiner Schmerzen triumphierend zu lächeln, »ich verpflichte mir dadurch
Radiostationen im ganzen Land. Sender von der Ost- bis zur Westküste, von
Alaska bis an die mexikanische Grenze. Man kennt mich dort, man erinnert sich
an mich.«
»Und wenn Sie irgendwann mit Ihren Boxern über den Großen Teich
gehen, dann wird man dort deren Kämpfe übertragen. Live von Max Schmeling
senden als kleine Gegenleistung für den Furtwängler. Was ich nicht verstehe:
Warum diese Heimlichtuerei? Sie hätten sich um eine Lizenz bemühen können.
Tonbänder sind doch keine verbotenen Waren, die man schmuggeln muss. Niemand
hätte sich darum gekümmert.«
Kümmel starrt ihn aus seinen hellen Augen lange an. »Weil die
amerikanische Seite dieses Handels nicht ganz so legal ist«, erklärt er
schließlich. »Darf man einfach so Platten von deutschen Tonbandaufnahmen
pressen und im Radio senden? Kein Amerikaner will einen Prozess riskieren,
keiner hat deshalb Interesse an allzu großer Aufmerksamkeit.
Mit der ›Leland Stamford‹ kommt jedes Mal eine diskrete Ladung in
die Staaten. Nicht alles auf einmal, das könnte dem Zoll in New York auffallen.
Und außerdem verpufft dann die Wirkung. Ich wäre halb vergessen, wenn ich
endlich in Amerika wäre. Die Lieferungen sollten bis zu meiner Ankunft
weitergehen, häppchenweise – bis Adolf aufkreuzte. Der Junge hätte den
Nachschub gekappt. Das war mein Ticket nach Amerika, und der verstand es nicht
einmal. Hätte er wenigstens nicht auf dem verdammten Blindgänger gehockt und so
dämlich gelächelt, dann hätte ich ihm die Dinge vielleicht erklären können.
Vielleicht hätte ich ihn sogar mitgenommen.«
»Und das Mädchen?«, fragt Stave mit harter Stimme. »Warum musste
Hildegard Hüllmann sterben?«
»Das war ihr Name? Die kleine Hure
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