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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Tanker heil im Hafen angekommen ist. Vielleicht gibt
es mehr als sonst. Aber das hilft einem am Sonntag auch nicht.«
    »Cuddel Breuer hat viele Quellen in der Stadt. Auch Ölquellen. Der
wird schon irgendwo tanken können.«
    »Der Chef wird trotzdem ungemütlich werden. Er wird im Fahrtenbuch
nachsehen, wer den Mercedes zuvor gefahren hat, und er wird sich Ihren Namen
merken.«
    »Den kennt er schon.«
    Stave braust aus der Garage und lässt den Mechaniker in einer
bläulichen Abgaswolke zurück. Er genießt es, die Scheiben des schweren Wagens
herunterzukurbeln und den Fahrtwind zu spüren.
    Er fährt durch die Innenstadt, in der alle Straßen freigeräumt sind,
keine Trümmer liegen mehr auf der Fahrbahn, keine Panzerketten, keine
Autowracks. Viele Flaneure sind auf den Bürgersteigen. Einige Fahrradfahrer,
manche haben schon wieder Gummireifen aufgezogen, andere radeln auf blanken
Felgen. Ein Jeep der Briten, dessen Fahrer ihn misstrauisch anblickt, ihn aber
nicht herauswinkt: Deutsche dürfen zwischen Samstag, achtzehn Uhr, und Montag,
sechs Uhr, grundsätzlich nicht Auto fahren, weil das Benzin so knapp ist.
Ausnahmen gelten nur für Ärzte im Einsatz – und Polizisten. Der Engländer hat
vielleicht den alten Polizeimercedes erkannt, denkt Stave. Fahren ja nicht so
viele davon herum.
    Der Wagen rumpelt über den Rathausmarkt, vorbei am leeren Sockel des
Denkmals für Heinrich Heine. Die Skulptur haben die Nazis eingeschmolzen.
Jüdischer Dichter. Er schlängelt sich vorsichtig durch das Straßengewirr
östlich vom Rathaus. Früher hätte er blind in Hamburg herumkreuzen können, doch
nun muss er im Zickzack fahren. Manchmal ist eine Straße, die er eigentlich
nehmen will, von einer nach vorne gekippten Hausfassade blockiert, andere sind
ganz unter Ziegelbergen verborgen, wieder andere sind zwar frei, doch war die
Hitze im Feuersturm der Bombennächte dort so stark, dass der Asphalt aufquoll,
sich wellte, verflüssigte und dann zu einer bizarren schwarzgrauen Bahn erstarrte,
deren Dellen und Rinnen das Steuern eines alten Autos tückisch machen.
    Trotzdem erreicht der Oberinspektor schnell die Elbbrücken, biegt
auf die Bremer Chaussee ab, schließlich irgendwann wieder nach links. Vorbei an
der Unverzagt-Kaserne, wo einst Wehrmachtssoldaten stationiert waren. Dann die
Engländer. Und nun ist es der Vorhof zum Jenseits: Hamburgs Siechenhaus, in das
Ärzte und Polizisten die hoffnungslos Kranken und für immer Bettlägrigen
abschieben, um in den wenigen intakten Krankenhäusern kostbaren Platz für die
Patienten zu schaffen, die man noch heilen kann.
    Er lässt die Trümmerberge zurück und den Gestank nach Dreck und den
Kohlerauchfahnen der Schiffe, die im Hafen dampfen. Felder, auf denen der
Weizen erst halbhoch steht, aber in der Hitze schon gelb wird. Kartoffelreihen.
Ein paar Obstbäume. Wäldchen. Mohnblumen am Rand der schmalen, gepflasterten
Landstraße, leuchtend wie Blutstropfen auf einem Kleid. Blaue Distelblüten. Der
Duft von trockener Erde, der zum Fenster hereinweht. Stave drückt das Gaspedal
durch und hätte am liebsten laut gesungen, wenn er sich dabei nicht vor sich
selbst geschämt hätte.
    Am Ende muss Stave doch herumkurven, weil er auf einer einsamen,
schilderlosen Landstraße eine falsche Abbiegung genommen hat. So kommt er erst
am späten Nachmittag nach Sodersdorf: ein winziger Bahnhof, ein Kramladen – so
verrammelt, dass der Oberinspektor nicht abschätzen kann, ob er bloß für das
Wochenende oder für immer geschlossen ist –, Kopfsteinpflaster, ein Dorfplatz,
eine schmale Brücke über die Luhe, die den Weiler in der Mitte zerschneidet.
Ein Dutzend unbeschädigte, rötlich schimmernde Bauernhäuser. Zwei Hunde, die
bellend hinter dem schnaufenden Mercedes herrennen, bis sie mit hängenden
Zungen aufgeben. Drei Kühe, die im Gras liegen und wiederkäuen. Ein älteres,
struppiges braunes Pferd. Stave tritt in die Bremsen und starrt aus dem
Fenster. Wann hat er das letzte Mal lebende Tiere gesehen? Selbst für die
meisten Hunde endete der letzte Hungerwinter im Kochtopf.
    Kein Mensch auf dem Bürgersteig, niemand im Schatten der Bäume, kein
Fahrradfahrer auf den Straßen. Aber in den Fenstern der Bauernhäuser Vorhänge,
die sich wie von Geisterhand bewegen. Das Gefühl im Nacken, angestarrt zu
werden.
    Stave bugsiert den schweren Mercedes vorsichtig über die Brücke. Der
Fluss ist in der Hitze zum schlammigen, braunen Rinnsal verdampft, die Wiese an
der Anhöhe des

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