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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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werde dich überraschen.«
    Er eilt in die Küche, stopft kleingehacktes Holz in die
Brennhexe, das er vor etlichen Tagen auf dem Weg nach Hause auf einem
Trümmergrundstück entdeckt hat. Die runde Dose aus Wehrmachtsbeständen stellt
er auf den Kohleofen in der Küche, dessen Kochplatte er herausnimmt. So zieht
der Rauch aus der Brennhexe nach unten in den Herd, von dort über den Kamin ins
Freie und qualmt ihm nicht die Wohnung voll. Funktioniert gut, so lange man
daran denkt, das Ofenrohr einmal in der Woche zu reinigen: Das feuchte,
schmutzige Holz setzt das Rohr mit einer dicken, schmierigen Rußschicht zu.
    Stave stellt einen Topf auf die Brennhexe – vorsichtig, damit ihm
die wacklige Konstruktion nicht vor die Füße kippt. »Bahndammsuppe mit
Zementbrocken«, ruft er seinem Sohn mit erzwungener Munterkeit zu. »Gemüse wie
vom Bahndamm, Brennnessel, Schafgarbe, dazu Grießklößchen wie Zement.
Verfeinert durch Wurst mit Walfleisch und Knochenmehl.«
    »Riecht gut«, antwortet sein Sohn müde. »Ich hatte seit Jahren nur
schimmeliges Brot mit Kapusta oder Kapusta mit schimmeligem Brot.«
    »Kapusta?«
    »Russischer Kohl.«
    Stave will etwas sagen, doch plötzlich sieht er einen Schatten in
der Wohnungstür. Er hat vergessen, sie zu schließen. Ist ihm noch nie passiert.
    Anna. Sie trägt ein cremefarbenes Sommerkleid, das er noch nie gesehen
hat, ihr langes Haar ist zum Zopf geflochten. In der Rechten ein kleiner
Gegenstand, in Packpapier eingeschlagen. Wäre wohl eine Überraschung geworden,
denkt Stave. Jetzt erlebt sie die Überraschung. Sie wirft ihm einen raschen
Blick zu, dann Karl, darauf wieder ihm. Sie versteht sofort.
    »Anna«, ruft Stave. Ihm will kein vernünftiges Wort einfallen.
    Sie zwingt ein starres Lächeln in ihr Gesicht. »Es ist wohl besser,
wenn ich heute nicht störe«, presst sie hervor.
    »Karl, darf ich vorstellen: Anna von Veckinhausen. Anna, das ist
mein Sohn Karl.« Stave kommt sich lächerlich vor, noch während er die Phrase
murmelt.
    Sein Sohn steht nicht auf, blickt Anna kurz an, starrt dann auf den
Tisch, schweigt.
    Sie ist schon wieder im Treppenhaus. »Warte«, ruft er, eilt ihr
nach. Er weiß immer noch nicht, wie er ihr alles erklären soll. »Willst du
nicht bleiben?«
    Für einen Moment sieht es so aus, als wolle seine Geliebte etwas
sagen. Aber dann hält sie nur ihren rechten Arm vor die Brust, wie sie es immer
tut, wenn sie sich bedrängt fühlt. »Du solltest den Abend mit deinem Sohn
verbringen. Allein.«
    »Ich wusste nicht, dass er heute heimkommt. Ich meine, ich freue
mich selbstverständlich, dass er endlich da ist«, stottert er.
    »Ich freue mich auch für dich.« Sie streicht ihm flüchtig mit den
Fingern über die Wange. Zärtlich, aber wie zum Abschied. Dann verschwindet sie
im düsteren Treppenhaus. Er bleibt ein paar Augenblicke unschlüssig auf dem
Absatz stehen, kehrt in die Wohnung zurück.
    »Ein Ersatz für Mama? Eine Adelige, und dabei warst du doch all die
Jahre heimlicher Sozialdemokrat.« Sein Sohn hat sich noch immer nicht vom Platz
gerührt.
    Stave schließt die Augen. »Die Sache ist kompliziert. Zu kompliziert
für heute Abend. Ich werde es dir beizeiten erklären.« Eine halbe Lüge, und
sein Sohn ist noch nicht einmal zehn Minuten wieder zu Hause. Fängt ja gut an.
Er ist erleichtert, als er ein Blubbern aus dem Kessel über der Brennhexe hört.
»Die Suppe«, ruft Stave und springt in die Küche, glücklich und traurig,
verwirrt und ratlos. Und er beginnt, sich vor diesem Abend zu fürchten.
    Während er in der Suppe rührt und Salz hineinstreut,
beobachtet Stave verstohlen seinen Sohn. Der schläft mir gleich ein, bevor er
was im Magen hat. Ich muss mich beeilen. »Das dauert noch ein wenig auf dieser
Brennhexe«, ruft er.
    »Hast du eine Zigarette?«
    Stave blickt ihn überrascht an, verkneift sich aber eine Rückfrage.
Ein Griff in das Jackett, das am Garderobenhaken hängt, dann wirft er ihm eine
Packung John Players zu. »Du rauchst jetzt auch?«, fragt Karl erstaunt, während
er sich einen Glimmstengel aus der zerknautschten Packung zieht.
    »Nein. Das ist mein Geldersatz. Man kommt mit Zigaretten weiter auf
dem Schwarzmarkt als mit Reichsmarkscheinen.«
    »Genau wie im Gefangenenlager.«
    »Heute bekommst du weder Kohl noch schimmeliges Brot.«
    »Sondern Brennnesselsuppe und Walfleischwurst. Die Russen haben den
Krieg gewonnen und wir ihn verloren, aber am Ende macht das keinen großen
Unterschied.«
    »Du wirst die Engländer

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