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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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kennenlernen. Dann merkst du, wie sich
Sieger von Verlierern unterscheiden.«
    »So schlimm?«
    Stave denkt an MacDonald. »Wir haben Glück gehabt, dass die Rote
Armee nicht bis Hamburg gekommen ist. Wenn man bedenkt, was wir den Engländern
alles angetan haben, dann behandeln sie uns dafür ganz schön fair.«
    »Du hast ›wir‹ gesagt. Dabei warst du doch immer stolz darauf, kein
Nazi zu sein.«
    »Zu deinem großen Zorn.« Stave könnte sich auf die Zunge beißen. Es
ist ihm so herausgerutscht. Das Gespräch mit seinem Sohn wird zum Minenfeld.
Überall liegen alte Sprengladungen herum, und wenn er nicht aufpasst, dann
fliegt ihm alles um die Ohren.
    Karl blickt ihm zum ersten Mal seit etlichen Minuten wieder in die
Augen. »Mit den Nazis bin ich durch«, sagt er müde. »Mit Politik überhaupt.
Nazis, Kommunisten, die Tommies, die Amis – können mir alle gestohlen bleiben.
Lügner.«
    Stave verkneift sich eine Erwiderung. Immerhin etwas, denkt er. Hat
der Krieg ihm die braunen Flausen aus dem Kopf gejagt? Dann fragt er sich, was
sein Sohn wohl alles im Krieg erlebt hat. Ihn schwindelt. Konzentrier dich auf
das Essen, sagt er sich.
    Die Suppe dampft. Dazu einige Karotten und ein kleiner Salatkopf.
Auf dem Schwarzmarkt von einem Schrebergärtner erstanden. Karl nimmt sich von
dem Gemüse, kaut die Karotten sorgfältig. »Meine Zähne sind locker«, erklärt er
und versucht sich an einem schiefen Grinsen. Dann nimmt er den Löffel und
schaufelt die Suppe in sich hinein. Stave beobachtet ihn: Über den Teller
gebeugt, kein Blick nach oben, rasche Bewegungen, Löffel für Löffel, gierig, schlürfend,
wie ein halb verhungertes Tier. Dann erstarrt er.
    »Was ist mit deinem Finger passiert?«, fragt er. Seinem Sohn fehlt
das letzte Glied des rechten Zeigefingers.
    »Hat mir ein Iwan weggeschossen«, nuschelt Karl zwischen zwei
Bissen. Er hält mit der Suppe nicht inne. »Da gewöhnt man sich dran.«
    Der Oberinspektor kann seinen Blick nicht von dem rötlich vernarbten
Stumpf nehmen. Es zieht ihm das Herz zusammen. An der Front? Oder erst im
Lager? Hat er Schmerzen? Kann er noch alles greifen? Schreiben? Stave wagt
nicht, Fragen zu stellen.
    »Hast du noch einen Teller?«
    »Selbstverständlich!« Stave hat ein Abendessen für zwei vorbereitet.
Soll sein Sohn die doppelte Portion verschlingen, der hat es nötig.
    »War es schlimm in Workuta?«, fragt er vorsichtig, als er die Suppe
auf den Tisch stellt.
    »Zuerst haben die Russen alle Kameraden entlassen, die aus
Österreich stammten. Das waren ja plötzlich keine Deutschen mehr. Was haben wir
die beneidet. Die SS-Männer haben sie auch abgeholt, selbst die, die sich
rechtzeitig eine Wehrmachtsuniform organisiert hatten, bevor der Iwan sie
gefangen hat. Aber wir müssen Spitzel im Lager gehabt haben, die den Wächtern
verrieten, wer bei der Truppe war. Die wurden abgeführt. Wir haben keinen von
denen wiedergesehen. Aber ich glaube nicht, dass sie wie die Österreicher nach
Hause geschickt worden sind. Die haben von den Russen bekommen, was sie
verdienten.« Er lacht kurz, beugt sich wieder über den Teller.
    Stave ist verwirrt. Was hat er erwartet? Eine epische Beschreibung
des Lagerlebens in eisigen Breiten? Er wird aus den wenigen Sätzen seines
Sohnes nicht recht schlau. Wir werden Zeit brauchen, sagt er sich. Ich werde
ihm richtig zuhören, anders als früher. Dann erzählt er schon alles,
irgendwann.
    Er hat zwei Scheiben bröseliges Graubrot aufgespart und rötlich
schimmernde Ersatzmarmelade. Dazu eine Tasse Kaffee – echter Mokka, hat ihn ein
kleines Vermögen auf dem Schwarzmarkt gekostet. Hätte Anna sicher gefreut. Ist
nun auch egal.
    »Gibt es das hier jeden Tag?«, fragt Karl überrascht. Bevor sein
Vater antworten kann, nickt er, sein Blick verfinstert sich. »Die Adelige. Habe
ich ein romantisches Abendessen gestört?«
    »Du störst nicht«, erwidert Stave, lauter, als er wollte. »Das kann
ich mir nicht jeden Tag leisten. Also freu dich über diesen Zufall und iss.«
    »Zu Befehl, Herr … Welchen Dienstrang hast du jetzt? Haben dich die
Tommies befördert?«
    Stave spürt, wie ihm das Blut ins Gesicht schießt. Lass dich nicht
provozieren, ermahnt er sich. »Polizei-Oberinspektor. Ein Rang, den die Briten
eingeführt haben. So heißen die Männer von Scotland Yard, habe ich mir sagen
lassen. Aber ich tue genau die Arbeit, die ich auch zuvor getan habe.
Mordkommission.«
    »Schon gut«, murmelt Karl, ein wenig erschrocken über sich selbst.
»Hör

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