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Schieber

Schieber

Titel: Schieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Rademacher
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Streit. Wenn bloß Nummer eins und Nummer drei
miteinander in Verbindung stehen, dann allerdings ergibt sich eine feine
Hypothese: Das Mädchen hat Stave verraten, dass sie auf eigene Faust
Nachforschungen betreiben will. Wo wird sie das tun? Am Hansaplatz, am
Hauptbahnhof, bei den Schwarzhändlern und bei den Schmugglern.
    Nicht mehr als eine Vermutung. Nichts, um damit gleich wieder zu
Breuer zu gehen. Aber genug, um eigene Ermittlungen durchzuführen.
    »Ich bin am Hauptbahnhof«, ruft er Erna Berg zu.
    »Dem Revier des toten Mädchens? Was soll ich dem Chef sagen, wenn er
Sie sucht?«
    Er lächelt verschwörerisch. Zum ersten Mal bessert sich seine Laune.
»Sagen Sie ihm, ich kümmere mich um meinen Fall.«
    Auf dem Weg zum Hauptbahnhof zwingt er sich, langsam zu
gehen. Durchzuatmen. Normalerweise fegt ihm ein Gang an der frischen Luft den
Kopf frei. Doch die Sonne brennt so stark, dass sein Geist nicht klar wird. Er
hat Durst. Schwing dich nicht zum Rächer auf, ermahnt er sich, bleib nüchtern.
Dabei weiß er genau, dass ihn auch die Angst um Karl antreibt. Er will Hamburg
sicher machen für den Heimkehrer. Und er will seinem Sohn einen Erfolg
präsentieren, auf den der stolz sein kann.
    Auf den Bahnsteigen steht die hitzeschwere Luft. Der Schweißgeruch
der Wartenden vermischt mit Kohlenstaub. Stave patrouilliert die Bahnsteige
systematisch ab. Jedem halbwüchsigen Mädchen, das er ohne Eltern antrifft, hält
er seinen Polizeiausweis vor die Nase. Ängstliche Blicke, Verlegenheit,
Empörung, wenn die Befragten erkennen, dass der Kripobeamte sie für
Prostituierte hält. Ihm ist es gleich.
    Zweimal hat er Erfolg, sofern das das richtige Wort für sein
erbärmliches Ergebnis ist. Ein junges käufliches Mädchen hat schon einmal von
Hildegard Hüllmann gehört, behauptet aber, sie in den letzten Tagen nicht mehr
gesehen zu haben. Er kann ihr nichts Brauchbares entlocken. Die andere
versichert ihm, dass sie diesen Namen noch nie vernommen hat. Sie lügt, denkt
er. Aber wenn er sie verhaftet und mitnimmt, dann wird Dönnecke davon Wind
kriegen – und zu Recht glauben, dass er sich in seinen Fall einmischt. Er lässt
die Kleine laufen.
    Er hält auch Ausschau nach Jungen, die Koffer zu und von den Zügen
schleppen. Sinnlos. Alle Waggons sind überfüllt, durch das Gedränge schieben
sich Hunderte schwer bepackte Kinder. Wenn irgendeines davon ein Schmuggler
ist, dann wird er es so nicht erkennen. Cuddel Breuer hat recht, denkt er
resigniert, ich verrenne mich und bringe kein Ergebnis nach Hause.
    Verschwitzt und abgekämpft hinkt er schließlich zurück. Unter den
Pfeilern vor dem Hauptportal der Kripo-Zentrale wäre er beinahe in MacDonald
gerannt.
    »Sie sehen aus, als kämen Sie direkt von Rommels Afrikakorps«, ruft
der junge Brite, »nach der Schlacht von El Alamein.«
    »Wollen Sie mich sprechen?«, entgegnet der Oberinspektor mit
krächzender Stimme.
    »Ich war mit Erna verabredet. Aber eigentlich kommt mir eine kleine
Unterredung mit Ihnen gerade recht.« Das Gesicht des Lieutenants verfinstert
sich.
    »Lassen Sie mich raten: Sie haben einen ersten Termin beim
Scheidungsrichter. Die Sache wird ernst.«
    »So ernst, dass meine Kameraden im Club schon Witze über mich
reißen.«
    »In Ihrem Beisein?«
    »Noch nicht. Aber hinter meinem Rücken.«
    »Dann ist noch nicht alles verloren.«
    »Churchill wäre stolz auf Ihre Einstellung. Schade, dass Sie auf der
falschen Seite standen.«
    »Darin bin ich gut«, erwidert der Oberinspektor.
    »Der Scheidungsprozess beginnt nächste Woche Donnerstag.«
    »In acht Tagen.« Stave ahnt, was auf ihn zukommt.
    Sie sind von der Kripo-Zentrale quer über den Karl-Muck-Platz bis
zur Musikhalle geschlendert. Vor den Stufen des Konzerthauses steht der Karren
eines Eismannes. Einige Jungen lungern in dessen Nähe, allerdings ohne den
üblichen sehnsüchtig-hungrigen Blick, wie der Oberinspektor feststellt.
    »Ich lade Sie ein«, sagt MacDonald und zieht eine lederne Geldbörse
aus der Tasche seiner Uniformhose. Erstaunt hält er inne, als ihn der
Eisverkäufer, ein hagerer, älterer Mann, mit mürrischer Geste abweist. Ohne ein
Wort zu sagen, deutet er mit der Rechten auf einen handgeschriebenen Zettel,
der an die Seite seines Eiswagens geheftet ist: »Papier ist mitzubringen.«
    »Sie haben Eis, aber keine Eistüten?«, hakt Stave nach und weiß
nicht, ob er das belustigend oder empörend oder einfach nur dumm finden soll.
    Der wortkarge Alte deutet mit dem Daumen auf die

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