Schieber
ist dem Mädchen vielleicht schon mal passiert«, fährt Czrisini
fort, der nicht bemerkt hat, dass Stave sich einen Augenblick lang an der Wand
abstützen musste. »Es gibt da Indizien für eine frühere Abtreibung. Ziemlich
primitiv durchgeführt, aber das wundert mich nicht. Berufsrisiko.«
»Ja, Berufsrisiko«, erwidert der Kripobeamte, »wie auch ein
vorzeitiger Tod durch massive Gewalteinwirkung.«
»Nicht die erste Bordsteinschwalbe, die so endet. Und sie wird nicht
die letzte sein.«
Stave schließt kurz die Augen und denkt nach. »Sie haben auch Meinke
untersucht?«, fragt er.
Doktor Czrisini lächelt. »Ihr anderer Zeuge? Das wäre eine
Verbindung zwischen beiden Opfern: Beide kannten Sie. Sind Sie der Mörder?« Er
hustet wieder.
»Verraten Sie es nicht Cuddel Breuer.«
»Oder Dönnecke. Der ist kein Freund von Ihnen.«
»Offiziell bin ich nicht hier.«
»Ich schweige wie ein Grab.«
Stave lächelt schwach und erinnert sich an die Szene auf dem Flur
der Kripo-Zentrale. »Dönnecke weiß, dass ich inoffiziell hier bin.«
»Er kann sich ja bei den Tommies über Sie beschweren«, erwidert
Czrisini und zündet sich mit dem Stummel seiner Woodbine die nächste Zigarette
an. »Den Meinke hatte ich ein paar Stunden davor auch hier, genau auf demselben
Tisch«, fährt er fort. »Er hat mich die Nacht gekostet. Schädel-Hirn-Trauma,
wie vermutet. Fraktur mit Splittern, Rissen, allem, was Sie wollen.
Einblutungen im Gehirn. Bei diesem Befund sind manche Aussagen schwerer zu
treffen als bei Stichverletzungen. Aber wenn ich mich festlegen müsste: Der,
der das getan hat, schlug mit der Rechten und nicht mit der Linken zu. Und er
war, trotz Knüppel in der Hand, eher kleiner als sein Opfer. Es passt zu
Dönneckes Vermutung und den Zeugenaussagen, dass ein Wolfskind Meinke
erschlagen hat.«
»Ein rechtshändiges Kind. Und bei Winkelmann und Hildegard Hüllmann
tippen wir auf einen Linkshänder.«
»Und eher ein Erwachsener als ein Kind. Vor Gericht könnte ich das
zwar nicht beweisen, aber das würde passen: die Höhe der Verletzungen im
Brustraum, die Wucht der Stöße.«
»Das wäre auch zu einfach gewesen«, seufzt Stave.
»Die Antwort lautet: Nein«, begrüßt ihn Cuddel Breuer,
kaum dass Stave in dessen Büro gestürmt ist.
»Zwei tote Zeugen in zwölf Stunden. Das ist kein Zufall!«, erwidert
der Oberinspektor. Er ignoriert die Geste seines Chefs, der ihn zum Sitzen
auffordert.
Breuer starrt ihn lange an. »Selbstverständlich kann das ein Zufall
sein«, sagt er schließlich. »Ein trauriger Zufall, aber eben ein Zufall. Es ist
nicht der erste Tag, an dem in Hamburg zwei Halbwüchsige ermordet worden sind.«
»Das waren noch Kinder.«
»Ein Herumstreuner, Kohlenklauer, Kleinkrimineller. Und eine
Bahnhofsnutte. Kommt nicht darauf an, wie alt sie waren. Sondern wie sie gelebt
haben. Und sie haben eben nicht mehr wie Kinder gelebt.« Er hebt seine massigen
Hände. »Schon gut. Ich würde mir auch eine andere Welt für diese Mädchen und
Jungen wünschen. Aber die Zeiten sind eben so. Bloß weil zwei Verbrechen
zeitlich nahe beieinanderliegen, gehören sie noch nicht zusammen.«
»Das habe ich in meiner Ausbildung anders gelernt.«
»Das war vor dem Krieg und dem ganzen Schlamassel. Ich glaube eher,
dass die beiden Morde zeigen, dass wir es mit unabhängig voneinander verübten
Taten zu tun haben.«
»Da sehen Sie mehr als ich, Chef.«
»Kein versteckter Spott, Stave, das passt nicht zu Ihnen und bekommt
Ihnen auch nicht.« Breuer richtet sich in seinem Sitz auf und zählt die Punkte
an den stark behaarten Fingern seiner Hand auf. »Erstens: Zwei Opfer, die beide
ein, sagen wir, unstetiges Leben führen. Meinke starb nachmittags, die Hüllmann
in der Nacht. Wie hätte ein Einzeltäter in so kurzer Zeit beide Opfer finden
und stellen können? Zweitens: Der Täter, der Meinke auf dem Gewissen hat, wurde
gesehen, wir haben eine Verdächtigenbeschreibung. Vage genug, zugegeben, aber
doch so präzise, dass nichts darauf hindeutet, dieser Gesuchte könnte etwas mit
Winkelmanns Tod zu tun haben. Drittens: Falls doch zwei Täter aus demselben
Motiv an zwei verschiedenen Orten zuschlagen sollten, dann deutet das auf
irgendeine Form von größerer Organisation hin – von der Sie selbst aber während
der Ermittlungen in der Mordsache Winkelmann noch nicht die kleinste Spur
gefunden haben. Womit wir, viertens, beim hypothetischen Motiv wären: Warum
diese beiden Kinder?«
»Weil sie etwas über Winkelmann
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