Schieber
wissen, was sie nicht wissen
sollen.«
»Sie haben beide schon verhört: Was könnte das sein?«
Stave schließt die Augen. »Weiß ich nicht«, gesteht er. »Aber geben
Sie mir trotzdem die Fälle, Chef. Dönnecke ist es vollkommen gleichgültig, wer
die beiden Kinder umgebracht hat. Der wird sich irgendein Wolfskind schnappen,
um den Fall Meinke abzuschließen. Und die Akte des Mädchens wird er verstauben
lassen, weil er denkt, dass es sich nicht lohnt, nach einem Freier zu suchen,
der Nutten umbringt.«
»Wahrscheinlich haben Sie recht«, erwidert Breuer und lächelt
wehmütig. »Sie hingegen werden mir den Laden hier umkrempeln, weil Sie Kollegen
vor ihre Schienbeine treten, die schon empfindlich genug sind, nachdem die
Tommies dagegen getreten haben. Sie werden nicht mit vollem Einsatz nach dem
Wolfskind suchen, das Meinke umgebracht haben könnte, weil ein solcher Mörder
nicht zu Ihren beiden anderen Taten passt. Und deshalb werden Sie am Ende,
nachdem mein Verein ein Trümmerhaufen geworden ist, nicht nur eine, sondern
gleich drei Mordakten ungelöst in die Ablage hängen.« Cuddel Breuer schüttelt
energisch den Kopf. »Sie kümmern sich um Ihren Fall. Ein Mord ist mehr als
genug, finde ich. Klären Sie den auf. Wenn – und wirklich nur wenn – Sie bei
Ihren Ermittlungen auf Spuren stoßen, die entweder auf Meinke oder auf die
junge Prostituierte hindeuten, dann dürfen Sie auch den jeweiligen Fall
bearbeiten. Aber auch nur den. Und nur zusammen mit Dönnecke.«
»Danke, Chef«, sagt Stave und stürmt aus dem Büro.
»Ich freue mich für Ihren Sohn«, ruft Breuer ihm nach.
Der Oberinspektor stoppt mitten im Lauf, dreht sich um, schließt
wieder die Tür hinter sich. »Sie haben von Karl gehört?«
»Manchmal erfährt selbst ein Kripochef so dies und jenes«, erwidert
Breuer und lächelt. »Herzlichen Glückwunsch, Stave. Muss ein gutes Gefühl sein,
den verlorenen Sohn wieder in die Arme schließen zu können. Nach dem«, er
zögert, »tragischen Verlust Ihrer Frau.«
Verwirrt schleicht Stave den langen Flur zurück zu seinem Zimmer und
fragt sich, woher Breuer von Karl weiß. Ob die anderen Kollegen es auch schon
alle gehört haben? Und ob die letzte Bemerkung seines Chefs vielleicht eine
versteckte Andeutung ist, dass sich auch sein Verhältnis mit Anna herumspricht?
Oder sein gewesenes Verhältnis. Stave wünscht, es wäre schon später Abend, alle
anderen wären längst zu Hause und er könnte sich allein in die Ermittlungen
vergraben.
Er erzählt Erna Berg von der Rückkehr seines Sohnes aus
der Kriegsgefangenschaft. Ein Versuchsballon. Es soll beiläufig klingen,
rutscht ihm aber irgendwie zerquält heraus. Seine Sekretärin ist begeistert,
mitfühlend, diskret. Stave flucht innerlich: Sie weiß es auch schon, denkt er,
sie spielt mir eine Komödie vor. Der Flur weiß es, die ganze verdammte
Kripo-Zentrale weiß es. Fragen sich wahrscheinlich alle, warum ich bislang die
Klappe gehalten habe. Er geht in sein Büro.
»Ich will nicht gestört werden«, ordnet er an und merkt selbst, wie
unfreundlich er dabei klingt.
Denk an den Fall, ermahnt er sich und starrt auf die Akte
Winkelmann. Er würde gerne die Unterlagen der anderen beiden Fälle
danebenlegen, weil er manchmal, wenn er etwas vor seinen Augen sieht,
Verbindungen erkennt, die sich ihm sonst nicht offenbaren. Meinke. Hat er
Winkelmann umgebracht, vielleicht im Streit? Und einer von dessen Freunden,
eines jener halbwilden Wolfskinder, rächt diesen Tod mit einem Knüppel? Warum
musste Hildegard Hüllmann dann sterben? Der Mord an der jungen Prostituierten
zeigt dieselbe Handschrift wie der an Winkelmann. Wenn jedoch Meinke Winkelmann
umgebracht hat, dann kann er nicht auch das Mädchen umgebracht haben – denn da
war er selbst schon nicht mehr am Leben.
Wenn jedoch der erste Mord – an Winkelmann – und der dritte Mord –
an Hildegard Hüllmann – vom selben unbekannten Täter verübt worden sind: Wie
passt dann Mord Nummer zwei, der an Meinke, in dieses Schema?
Stave könnte vor Wut auf die Schreibtischplatte dreschen. Drei tote
Kinder. Wir haben Frieden, verdammt. Sinnloser Zorn überkommt ihn, auf Cuddel
Breuer, auf Dönnecke, auf die Wolfskinder. Sei kein Idiot. Niemand von denen
macht Hamburg zur Hölle, sondern jemand anderer. Den musst du finden.
Also von vorn: Er wird vorerst so tun, als gäbe es den Fall Meinke
nicht. Vielleicht haben Breuer und Dönnecke recht: Zufall, die Tat eines
Wolfskindes, ein alltäglicher
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