Schieber
Goldring. Ein
paar Schauerleute und Werftarbeiter sind deshalb gleich ganz ins Geschäft
eingestiegen. Kein anderer Deutscher kommt so nah an die ausländischen Schiffe
heran wie diese Kerle. Und so früh. Da machen die, die wach sind im Kopf,
schnell das erste und beste Geschäft. Im Moment liegt zum Beispiel die ›Leland
Stamford‹ an einem Pier. Amerikanischer Liberty-Frachter mit 3700 Tonnen Zucker
aus Kuba.«
Stave erinnert sich, das Schiff gesehen zu haben, als er nach den
Ermittlungsarbeiten bei Blohm & Voss mit der Barkasse über die Elbe setzte.
»Was passen die Tommies da auf, dass nichts gestohlen wird«, fährt
Tätowier-Willi fort. »Überall englische Militärpolizei. Die Schauerleute können
nicht einen Krümel Zucker aus den Säcken klauben. Wollen die auch gar nicht.
Die gehen runter in den Frachtraum und lassen in einer dunklen Ecke was fallen:
Schmuck, Gold, so etwas. Dann hieven sie ein paar Säcke raus und irgendwann
stehen sie wieder in der dunklen Ecke im Frachtraum. Und plötzlich liegen da
Lucky Strike-Stangen. Die binden sie sich innen an das Bein. Die Tommies gucken
draußen nur auf die Zuckersäcke und dass da auch ja kein Riss drin ist, aus dem
der weiße Schatz herausrieselt. Und direkt vor ihren Nasen schleppen die
Schauerleute ein paar Tausend Glimmstengel vom Schiff. Die werden dann in einem
zerstörten Speicher oder auf einer Werft gelagert, bis die ›Leland Stamford‹
entladen ist und die Tommies abgezogen werden. Dann geht es mit dem Schatz auf
den Schwarzmarkt.«
»Klingt so, als müssten die Schauerleute die reichsten Männer
Hamburgs sein. Ist mir aber noch nie aufgefallen.«
»Diese Geschäfte machen nur zwei, drei Kerle pro Schicht. Die
meisten Schauerleute und Werftarbeiter sind echte Proletarier, die tun so was
nicht.«
»Arbeiterehre? Kommunistische Ideologie?«
»Die können einfach nicht mit Geld umgehen. Die werden von den
richtigen Profis übers Ohr gehauen. Und die wissen das. Die würden den Schmuck
ihrer Oma in den dunklen Frachtraum kippen und am Ende von einem grinsenden
amerikanischen Matrosen mit zwei Zigaretten abgespeist werden. Beschwer dich
dann mal! Also begnügen sie sich mit den Handlangerdiensten.«
»Und wer sind diese richtigen Profis, die wissen, welchem Matrosen
man in welcher Ecke des Schiffes die richtigen Waren präsentieren muss?«
»Kerle mit den richtigen Verbindungen. Internationalen Verbindungen.
Nicht die Schauerleute am Hafen, sondern Geschäftsmänner im Zwirn.«
Tätowier-Willi nennt einige Namen, die Stave nichts sagen. Er
notiert sie pflichtgemäß. Soll sich das Chefamt S darum kümmern. Er will den
Block schon zuklappen, als der letzte Name fällt: »Walter Kümmel.«
»Der Box-Veranstalter?«, hakt Stave nach, plötzlich hellwach.
Der Alte lacht. »Der ist ganz dick im Geschäft. Sehr gerissen.«
»Wie gerissen?«
»Gerissen genug, um beim Schmuggel groß einzusteigen, ohne dass sich
herumspricht, mit welcher Ware er handelt.«
Stave fällt ein, dass er bei der ersten Vernehmung in Greta Boesels
Wohnung ein Röhrchen mit Tabletten in der Tasche des Boxpromoters gesehen hat.
»Penicillin?«, fragt er.
Tätowier-Willi hebt die Schultern und lässt sie langsam wieder
sinken. »Klein, leicht, gut zu verstecken, haltbar und hoch profitabel. Wäre
schon möglich. Aber, wie gesagt, nichts spricht sich herum. Der Kümmel dreht
ein großes Rad, aber keiner weiß, an welchem Rad er dreht.«
»Das wird sich ändern«, erwidert Stave und schüttelt dem Alten zum
Abschied die tätowierte Hand.
Als der Oberinspektor abends durch die Ruinen wandert,
leuchten im rötlichen Abendlicht die Schutthaufen und halbierten Häuser wie
griechische Ruinen. Wäre doch etwas für einen Postkartenmaler, fährt es Stave
durch den Kopf. Vielleicht bleiben diese Reste hier genauso lange stehen wie
die verfallenen antiken Tempel. Kann man dann wenigstens Eintritt für
verlangen.
Er platzt fast vor Energie, obwohl sein Mund so ausgedörrt ist, dass
er kaum noch sprechen kann, und sein Magen vor Hunger zieht. Eine Spur. Walter
Kümmel – den werde ich mir morgen vornehmen. Stave weiß nicht, mit wem der
Promoter handelt, wo in diesen Geschäften überhaupt ein Profit steckt. Und erst
recht rätselt er über das Motiv: Warum sollte Kümmel dafür einen Mord begehen?
Und doch sind die Tonbänder eine Spur, die Kümmel mit dem toten Jungen
verbindet. Es würde seine Hochstimmung vollkommen machen, wüsste er, dass
jemand in der Wohnung auf ihn
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